Montag, 21. November 2005
Montagmorgen und i-pod-omanie
Der erste Blick aus dem Fenster raubt die schwach aufkeimende Energie eines Montagmorgens. Der Himmel trübe, Nebelschwaden ziehen zwischen den Strassen und kaum zu erkennen sind die Fenster der gegenüberliegenden Häuserzeile. Wo sonst helle Farben von den Wänden leuchten herrscht tristes Grau mit vergessenen Farbpigmenten. Der Wunsch wieder unter der Bettdecke zu verschwinden ist größer als die Lust nach frischem Kaffee und Zigarette.

Irgendwie bleibt einem die Hoffnung wenigstens auf dem Weg ins Büro, der lang genug ist um Menschen zu treffen die lächeln. Doch schon auf der U-Bahntreppe beschleicht einen die Erkenntnis dass die Mitmenschen hetzender, verstimmter als man selbst sind. Jedes Gesicht und die Haltung eines jeden lässt erahnen das diese Menschen auf dem Weg sind sich quälen zu lassen oder gequält zu werden. Nichts verrät die geringste Lust am Tagewerk das vor Ihnen liegt, die Augen sind auf die Anzeigetafel gerichtet oder starren ins Leere. Selten grüßen sich zwei Menschen und wenn sie es tun so geschieht dies wortlos, höchstens mit einem Brummlaut unterstrichen. Lächeln oder ein wenig Freude in den Augen – nein. Es scheint das keiner ein erfreuliches Wochenende verbracht hat und vielen hübschen Frauen nicht verliebt sind, eher ihres Lebens, wie der Partnerschaft überdrüssig. Und wenn Sie allein sind, so ist das sicher der richtige Moment um sich zu bedauern und Selbstmitleid am Bahnsteig dahin fließen zu lassen um kurz bevor der Zug einfährt die Gedanken im bevorstehenden Tunnel verschwinden zu lassen und ihnen nachzueilen. Männer, die äußerlich erfolgreich - mit Anzug und Krawatte unter dem lässig geöffneten Mantel mit eingezogenen Schultern die Rolltreppe herabschweben, so als ob ihnen am Wochenende ein Beutestück vor der Nase weggeschnappt worden wäre, stehen mit hängenden Mundwinkeln im Abseits. Warten bis das Surren der Wagonräder lauter wird um mit wenigen, schnellen Schritten in der Türöffnung verschwinden und verkrampft an der Haltestange festhaltend auf den Ruck der Anfahrt warten. Bei manchen hat man das Gefühl, das sie eine unheimlich schwere Rechenaufgabe lösend vor sich hinmurmeln. Wenn der durchschnittliche deutsche Montagmorgenmensch nicht gerade von einem Mitfahrenden (meistens ich – absichtlich) auf die Füße – na ja Schuhe, getreten wird und wirsch reagiert, könnte man in die Illusion verfallen, das Alle nur einen Albtraum im Wachzustand erleben.

Die Gemeinsamkeit der Benutzer öffentlicher Verkehrsmittel ist nicht allein die morgendliche Tristesse. Beinahe Alle haben weiße Schnüre in den Ohren, die irgendwo unter der Jacke, Mantel oder in der Bluse verschwinden. Manchmal, wenn das Glück hold ist kramen sie das Ende der uniformierten weißen Strippen hervor und es erstaunt mich das auch hier alle die gleichen weißen Boxen haben und daran drehen und drücken. In Anbetracht der müden und lust-verlorenen Gesichter ist man beinahe gezwungen die i-pod´s an dem menschlichen Zustand verantwortlich zu machen. Als eine Form von Epidemie, sind die Leute gezwungen diese Dinger in die Ohren zu stecken und tief traurige Musik zu hören oder ein Hörbuch das die Opfer von Tim Melzers Kochkunstnachahmer beschreibt. Es kann natürlich auch sein, dass ich eine neue Welle von Motivationsbüchern versäumt habe und die Menschen – da Lesen während des Gehens oder Einsteigens in die U-Bahn nicht immer gesundheitsfördernd ist, diese hörend „lesen“. Allerdings möchte ich dem Autor solcher Motivationsbücher klar sagen, dass sie das Thema verfehlt haben und die Hörer stark demotivieren.

Nach zwei Stationen steige ich aus und husche die Rolltreppe hoch um nach einigen Schritten inmitten eines der großen Bahnhöfe diese Landes zu stehen. Und siehe da – nichts ist hier oben anders als unten im Bauch dieser gierigen Geld- und Bankenstadt. Wiederum hängen an den weißen Schnüren eilende, ausdruckslose Menschen. Die Gefahr der Zukunft ist nicht eine Pandemie von Vögelgrippeviren, es ist die i-pod-omanie.

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