Samstag, 29. Oktober 2005
Österreichs Identität
Land der Berge, Land der Dome, Land am Strome….

Am 26. Oktober 1955 hat Österreich den Staatsvertrag mit den Siegermächten abgeschlossen und die zweite Republik wurde ausgerufen und per Verfassung für neutral erklärt. Nach österreichischer Erklärungslage wurde es zehn Jahre zuvor von den Alliierten aus den Fängen ihres Landsmannes, dem verhinderten Kunststudenten und späteren Massenmörder Hitler befreit. Zu leicht wurde vergessen, dass die Schlagbäume an den Grenzen geöffnet wurden, noch bevor die Rede von einem Einmarsch war. Gut, man hätte immer noch behaupten können, es geschah zum Schutz von Gut und Volk, die Wahrheit ist es nicht. Wie sonst hätten sich Hunderttausende auf dem Heldenplatz zur Huldigung ihres Führers versammelt und gleichzeitig die Hand in Demut hochgerissen. „Herr Karl“ und „Der Bockerer“ zeigen die Begeisterung die herrschte, zwar in Szene und zeitversetzt, so dennoch realistisch. Um die 37% der Bewohner waren Mitglieder der NSDAP, weit mehr als sonst wo im 1000-jährigen Deutschen Reich.

Dennoch, jedes Volk lernt aus seiner Geschichte. Selbst wenn bis in die Siebziger in manchen Bundesländern der Alpenrepublik die gelehrte Historie mit 1930 am Schuljahresende abgebrochen wurde und im folgenden Jahr - wen wundert´s - mit 1945 wieder begann. Die alten Nazis wurden in den einzelnen Parteien untergebracht und stillgehalten. Selten brach jemand in die Öffentlichkeit aus, wie der Parteiobmann der FPÖ Peter oder der unglückliche, alles vergessende, ehemalige UNO-Generalsekretär und spätere Bundespräsident Kurt Waldheim. Vergangenheitsbewältigung ist nicht die Stärke des Alpenlandes, jedes Mal, wenn es zu nahe an das Gerede von Mitverschulden von Millionen Toten kam, wurde die Protesthaltung gegen die Nestbeschmutzer unerbittlich. Hat es sich geändert? Halten wir es einfach mit der Mentalität – nicht in einer breiten Diskussion alle betreffend hat sich die Haltung gewandelt, vielmehr in kleinen und leisen Schritten ist wenigstens die Jugend bereit, die wirkliche Rolle des Landes anzuerkennen. Das ist die positive Seite. Andererseits werden immer noch mit Ausländerfeindlichkeit und tief sitzenden Ängsten - neben Polit-Populismus - bei den Wahlen Stimmen gefangen und auch Mehrheiten erreicht, bedenkt man Haiders Kampagnen gegen alles Fremde und seine positiven Aussagen zu SS und Wehrmacht, die später als Ausrutscher gedeutet wurden. Es ist nicht fair, diese Vorgangsweise Österreich allein zu zuschreiben, auch in anderen Ländern Europas wurden so Landtagswahlen gewonnen (siehe Hessen). Von Haiders Anfangszeiten bis heute hat sich im Bewusstsein der Menschen doch einiges geändert, wie die ÖVP vor kurzem schmerzlich erfahren musste mit ihrer ablehnenden Haltung, die Türkei als Vollmitglied der EU in ferner Zukunft zu akzeptieren.

Kaum ein Volk das kontroverser handelt, indem es die Nazi-Vergangenheit verschleiert und Völkern wie den Ungarn in den Fünfzigern und den Polen Anfang der Achtziger die Grenzen öffnet und so einen kleinen Teil derer vor dem Kommunismus und dem Jaruselsky-Kriegsrecht bewahrt. Kreisky hat mit diplomatischem Geschick die ausreisewilligen oder abgeschobenen Juden aus der Sowjetunion und anderen Oststaaten in Österreich zwischen-beheimatet bevor sie weiterreisten nach Israel, Kanada oder in die USA. Zwar geriet durch die Freundschaft mit Arafat diese Aktion in Verruf, das mindert den guten Willen jedoch nicht.

Der Schauplatz für den Film „der dritte Mann“ war Wien - und nicht nur in cinematographischer Aufarbeitung. Diese Stadt aus einem Zuckerguss war während des kalten Krieges der Dreh- und Angelpunkt für Spione, zwielichtige Diplomaten und Berater beider Seiten – neutral genug um ruhige Verhandlungen führen und Verträge ausarbeiten zu können. Viele Krisen wurden hier im Stillen beigelegt, ebenso wie feindliche Informationen ausgetauscht.

„Österreich das bessere Deutschland!“ titulierte die FAZ an einem Sonntag vor den diesjährigen Wahlen das wirtschaftliche Bild des Landes. So ganz stimmt das nicht, ebenso wie der Rest Europas kämpft man hier gegen Arbeitslosigkeit und leere Staatssäckel. Ob der Beitritt Österreichs zu EU die Alpenrepublik verändert hat, ist nicht einfach zu beantworten. Geblieben ist das zwiespältige Verhältnis zu den „Piefkes“. Einerseits wirtschaftlich und touristisch von den Deutschen abhängig, andererseits immer auf der Suche danach, besser als der große Nachbar zu sein – das treibt zuweilen eigenartige Blüten, bestens aufgearbeitet und präsentiert in der „Piefke Saga“. Fast lässt sich in dieser Haltung Deutschland gegenüber eine wehmütige Erinnerung an die kaiserliche Großmacht erkennen. Das Überbleibsel von 1918 ist nicht mal mehr eine einheitliche Rumpfgeschichte. Zusammen gewürfelt aus Alemannen, Bajuwaren, Tirolern und den aus den verschiedenen Teilen der ehemaligen Monarchie stammenden Wienern gab es keine Identität. Das vor 1914 bestehende Selbstbewusstsein wich einer neu aufzuarbeitenden Selbstfindung. Die erste Republik, aus den Ständen zusammengestellt, erwies sich nicht als eine Kraft der Vereinigung. Eine Identität war nicht im Österreicher sein zu finden, eher in gesellschaftlichem Stand und politischer Richtung.

Nach 1955 hat der von Wien ausgehende diskrete und doch vorhandene Zentralismus die Selbstfindung erschwert und gleichzeitig auf einer indirekten Ebene gefördert. Fragte man in den 80igern einen Kärntner, Steirer oder Vorarlberger als was er sich sehe, so nannte dieser zuerst sein Bundesland. Eine gesamtösterreichische Identität ist inzwischen auch nach außen hin zu finden, im Inneren bleiben Selbstbewusstsein und Stärke auf ein Bundesland bezogen. Anders ist ein Halten des Populisten Haider in Kärnten als Landespatron nicht erklärbar, selbst wenn die Einwohner sehr deutschnational eingestellt sind und mit viel Nachdruck und Repressalien die Letzten der slowenischsprachigen Minderheit eingedeutscht wurden.

Wirtschaftlich liegt das Land heute nicht schlecht im europäischen Vergleich. Anders als der große Nachbar und heimliche Konkurrent Deutschland, dessen Tun sowohl politisch als auch wirtschaftlich sehr genau beobachtet wird, ist in Österreich kein Wirtschaftszweig vordergründig präsent. Mit einer Bandbreite aus Landschaftspflegern und Hightech-Unternehmen, vom hochwertigen Dienstleistungssektor bis zu den kontrollierten Milupa-beliefernden Biobauern und einem, in den letzten Jahrzehnten auf Städte und Skigebiete konzentrierten Tourismus, geht es der Republik ganz gut. Der ehemals so verhasste und verschriene Beamtenstaat mit den noch kaiserlichen Identitätsstrukturen hat sich nach der Aufnahme in die EU zu einem effizienten und schnellen Dienstleister entwickelt. Jeder Bürgermeister ist bemüht, Unternehmen die sich in seiner Gemeinde ansiedeln möchten, nicht nur mit dem berühmten österreichischen Charme zu bezirzen, sondern auch wirkliche Hilfe in Form von schnellen Erledigungen der behördlichen Genehmigungen zu bieten. Immerhin stehen in Österreich gut ausgebildete Arbeitskräfte mit etwas geringeren Lohnnebenkosten und hoher Produktivität zu Verfügung. Für einen Job wird schon mal mehr getan als die Sozialpartner aus Arbeitgeber, Gewerkschaft und Staat vorschreiben. Gerade diese einmalige Zusammensetzung aus kontrastierenden Interessen ist der Garant für sozialen und politischen Frieden.

Von außen wird Österreich meist falsch eingeschätzt. Es ist nicht die Spannbreite zwischen Wiener Schnitzel und Tirolerhut, Sachertorte und Opernball, oder dem Altausseerer Trachtenverein und den pfundigen Salzburger Skigebieten. Das Land hat eine über Jahrhunderte gewachsene Kultur von Theater, Literatur, Kunst und Musik. Mozart, Strauss und Grillparzer, Musil, Nestroy und Bachmann und noch viele mehr haben das Land und den gesamten deutschsprachigen Raum geprägt. Kein anderes Land hat so viele Kritiker in den eigenen Reihen ertragen und gefördert - denkt man nur an Thomas Bernhard der seinen täglichen „Kleinen Braunen“ im Café „Bräuner Hof“ in der Wiener Innenstadt zu sich nahm und seine Manuskripte über die „…verabscheuungswürdige Gesellschaftsschicht der Neureichen und Pseudo- Intellektuellen“ verfasste. Nach Bernhard wuchs eine neue Generation von Kritikern am Staat und der Gesellschaft und wenn man die Feme genauer betrachtet, versteht sich die Arbeit Sigmund Freuds von selbst.
Die Mentalität ist vielleicht nicht immer leicht zu verstehen und bisweilen der unnötige Schlagobers auf den weiten Gipfeln anstelle der Gletscher, aber es sind Menschen, die trotz offensichtlicher Widersprüche und Verschiedenheiten inzwischen eine Gemeinsamkeit haben - den Stolz, Österreicher zu sein und das inmitten - oder alpenländisch – das Herz Europas.

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