Freitag, 9. Dezember 2005
Barbie, Teddy und Co
Jeder, der Kinder hat kennt die Berge an gesammelten Kuscheltieren, die sich von Geburt bis zum ca. 10 Legensjahr anhäufen. Prall gefüllte Müllsäcke belagern Keller und Dachböden oder Schränke, man trennt sich schwer davon. Es ist meist nicht das kindliche Verlangen den 12. Bären oder die 8. Maus oder Tiger zu behalten. Es sind wir, die Eltern die immer noch die leuchtenden Kinderaugen im Moment des Schenkens festhalten wollen, und an die Vergänglichkeit des kindlich-schönen Naiven erinnert werden. Wir die zugelassen haben, dass Freunde, Tanten und Omas noch schnell auf dem Weg zum geliebten Enkel, Neffen oder Nichte an einen Spielzeugladen oder Tankstelle hielten um „etwas“ mitzubringen, sind nun nicht fähig loszulassen von den, meist ohne viel Nachdenken ausgesuchten Geschenken mit plüschigem Fell und sehnsüchtigen Augen.

Weihnachten steht wieder kurz vor der Tür und es ist eine hohe Zeit, eine Hochzeit für Barbie, Teddy, Tiger und Co. In den Regalen der Kaufhäuser warten sie, verführerisch präsentiert, darauf „geliebt“ zu werden, in den ausschweifenden Phantasien der Kleinen eine wichtige Rolle zu spielen oder in den Armen schlafender Kinder zu liegen bis sie angesabbert, endlich den industriell neutralen Geruch ablegen und einen Eigenen annehmen können. Nicht nur die Augen der Kinder leuchten bei solchem reichen Angebot an „zum Liebhabenden“, die Eltern und Verwandten kramen aus dem „Kind in Sich“ ebenso die Sehsüchte der Vergangenheit hervor und stehen unter dem Druck, ihre Gefühle an die nächste Generation weiter zu geben.



Hua-Hin ist 16 Jahre alt, ist auf dem Land aufgewachsen fern der großen Stadt in der sie jetzt lebt. Jeden Morgen um Vier steht sie auf, weckt ihre zwei Kolleginnen mit denen sie ihr 18 Quadratmeter großes Zimmer in diesem kahlen grauen Einheits-Platten-Hochhaus, teilt. Sie holt ihre Zahnbürste und das Handtuch, schlappt noch übermüdet den Flur entlang zum einzigen Bad für 52 Mädchen, in der Hoffnung die Erste an diesem Morgen zu sein um sich zu waschen. Sie hat Glück ihre Kolleginnen sind noch in den Betten, müde von den vorangegangenen Arbeitsschichten. In den letzten Oktobertagen arbeiteten alle mindestens 12 Stunden durchgehend und eventuell, wenn keine Fehler passierten hatten sie eine halbe Stunde Mittagsruhe. In einer Stunde müssen alle wieder an den Nähmaschinen und Zuschneidegeräten sitzen, für die nächsten 12 Stunden. Kaum hat sie die Tür hinter sich geschlossen und verriegelt, drückt jemand an der Klinke und flucht weil sie sich nicht öffnen lässt. Nach 10 Minuten ist Hua-Hin geduscht und hat die Zähne geputzt, ebenso hat sie Ihren morgendlichen Toilettengang gleich mit erledigt. Als sie ins Zimmer kommt ist der Tee fertig und die trockenen Teigtaschen werden mit warmer Bohnenmilch übergossen, verrührt und verschlungen. In wenigen Minuten kommt der Firmenbus und holt die Mädchen ab. Noch ist es dunkel und das, den Morgen verkündende Zwielicht steigt über den Bergkamm langsam in die üppig schwarzgrüne Landschaft am Stadtrand. Schweigsam, beinahe in Trance sitzen die Mädchen die nächsten 20 Minuten bis der klapprige Bus das niedrige, fast fensterlose Gebäude erreicht hat. Der Raum in dem sie arbeiten ist fast so groß wie das Gebäude selbst, lediglich das Büro den Leiters und eine Toilette für die Mädchen sind mit einer Mauer von der Halle getrennt.

20 Mädchen, die älteste ist 19 Jahre alt, schneiden und nähen Puppenkleider für Ken und Barbie. Es sind modische Schnitte für die Disco und den Club oder wallende Abendkleider mit Rüschen und Schleifen für den westlichen Galaabend oder Ball. Die Mädchen träumen von diesen Kleidern, träumen davon mit Ihren 35 Dollarcent pro Stunde diese Kleider und Tops im Menschengrößen kaufen zu können, damit über die Strassen zu flanieren und die Blicke der Jungs auf sich zu ziehen. An dem einzigen freien Tag in der Woche einen Traumprinzen zu finden der sie erlöst aus der Qual. Die restlichen Mädchen sind mit dem Zuschneiden und Nähen von Kunstfaserstoffen für Plüschtiere beschäftigt. die Jüngsten stopfen im Akkord die, zwischen den Beinen oder am Bauch noch offenen Teddys, Tiger, Giraffen und übergroße Mäuse.

Ständig blickt der Aufseher und Leiter der Fabrik auf die Mädchen, treibt sie an und droht mit Nacharbeiten wenn das gesetzte Pensum nicht erreicht wird. Manche der gepolsterten und quietschenden Arbeitsstühle der jungen Frauen haben dunkle Flecken die teils noch feucht sind. Um zur Toilette zu gehen müssen sie nach dem Schlüssel fragen, der nur dann ausgehändigt wird wenn die Arbeit gut vorangeschritten ist. Jede weiß, dass sie an ihren Tagen mindestens drei Binden in die Unterhose stopfen muss wenn sie nicht zur Toilette gehen dürfen, um den langen Tag ohne die neugierugen Blicke und das Gespött der Kolleginnen oder des Aufsehern aushalten zu können. Der Schweiß rinnt über die Stirn und Wangen, tropft auf die Hose, auf die Füllwolle und das Teddybären-Kunstfaserfell. Es ist heiß und laut in der Halle, die kleine Eingangstür ist verschlossen, ein winziges Fenster in Richtung des fernen Meeres steht gekippt und von innen sieht man das kühle Blau des Himmels über Gaundong. Trotz der Müdigkeit und dem monotonen Nähen, Stopfen und Zuschneiden arbeiten sie Frauen konzentriert und wispern leise mit ihren Nachbarinnen. Sie wissen dass ein einziger Fehler eine Verletzung nach sich ziehen kann die zur Folge hätte das sie nicht arbeiten können, nichts verdienen und auch das bisschen zuhause in dem Wohnsilo verlieren würden. Hua-Hin weiß dass sie die Firma Krankenversichern müsste und es nicht tut, lieber zahlt der Inhaber dem Kontrolleur einige hundert Hüyen und außerdem ist er Parteimitglied.

Wenn der Tag für die Mädchen zu ende geht ist die Sonne im Westen verschwunden und die Lichter der nahen Stadt Shenzhen beleuchten die aufgezogenen Wolken. Im Bus träumen sie sich in eine andere Welt, eine Welt in der sie im Büro arbeiten oder bei einer der westlich geführten Unternehmen. Einen Traum eben!

Eine junge Mutter schiebt den Kinderwagen durch die überfüllten Regale des Spielzeugladens auf der Suche nach einem Teddybären für ihren schlafenden Sohn. Sie findet einen mittelgroßen Plüschbären mit traurigen Augen, wie sie es aus ihrer Kindheit kennt, nimmt ihn und geht zu nächsten Verkäuferin. „Können Sie mir sagen wo und wie diese Kuscheltiere hergestellt werden?“ Die Verkäuferin sucht die Lasche und sagt „China, da kommen alle her!“, “Hat der Hersteller ein Zertifikat das besagt das die Leute die dort arbeiten auch unter menschlichen Bedingungen die Bären nähen“ , fragt die junge Mutter. kursiv „Da muss ich die Geschäftsführerin fragen, warten sie bitte einen Augenblick!“ Die Verkaufsdame huscht hinter eine Tür und nach kurzer Zeit erscheint eine Gutgekleidete Frau mittleren Alters mit einem Hermestuch lässig um den Hals gebunden. „Leider haben die Kuscheltiere nur ein Siegel, das die Unbedenklichkeit des Stoffs und der Füllung garantiert“ sagt überraschend ernsthaft und verständnisvoll die Hermesdame. Der Mutter ist anzusehen dass sie auf eine Diskussion eingestellt war und lächelt, als die Geschäftführerin ihr erklärt dass sie und ihre Kollegen eine schriftliche Anfrage an den Großhändler gestellt haben, um etwas über die Arbeitsbedingungen zu erfahren. „…man hört ja so viel Negatives…“ erwidert die Mutter, legt den Bären mit den traurigen Augen zurück ins Regal und verabschiedet sich.

Der Schweitzer Einzelhandelsverband der Spielzeughändler fordert als Erster in Europa eine Zertifizierung zu den Herstellungsbedingungen für Spielzeug und Kuscheltiere von den Importeuren.

Der Dialog mit der Mutter wurde in diesen Tagen in einem Mannheimer Spielzeugladen erlauscht. Hua-Hins Erzählung aus dem Arbeitsalltag hat der Autor vor zwei Jahren in Shenzhen erfahren.

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O weia.
Meine Schwiegermutter hat lange Jahre in einem guten Spielzeuggeschäft als Verkäuferin gearbeitet, und solche Kundengespräche haben sich in den Jahren vor ihrer Entlassung immer öfter zugetragen.

Wie man sich denken kann, ist meine Frau wohlversorgt mit Kuscheltieren in die Ehe gegangen. ;-) Mich macht der Anblick dieser Viecher irgendwie auf eine Art melancholisch, die ich mit Worten gar nicht beschreiben kann. Wenn dann noch das Pling-Plang-Plong von Spieluhren dazu kommt, dann ist es um meine Gemütsruhe geschehen, das ist dann fast too much.

Das wird jetzt, nachdem ich Ihre Geschichte gelesen habe, sicher nicht besser werden. Die Diskrepanz zwischen all der Liebe, die die Kinder diesen Kuscheltieren entgegenbringen und den lieblos-harten Bedingungen, unter denen sie womöglich hergestellt werden, Mannmannmann, starker Tobak.

@Mannheim: Kunststraße oder Fressgasse?

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zu Mannheim...Bis vor wenigen Tagen wusste ich nicht das Q die Fressgasse ist - Nein, das Geschäft ist in "P".

Nachtrag

Ich habe nach dem Dialog die Verkäuferin gefragt, ob die Leute öfter nach den Bedingungen fragen. Sie antwortete, dass vor allem junge Eltern sehr daran interessiert sind etwas über die Herstellungsbedingungen zu erfahren. Um nicht als zu sehr „moralisierend“ zu gelten habe ich diesen Teil in der Story weggelassen.

Übrigens: Das chinesische Mädchen hat ihre Situation sogar als Glücksfall gesehen. Sie weiß zwar dass es bessere Bedingungen gibt, aber war froh um die 120 US-Dollar zu verdienen. Damit ernährt sie die Familie im Hinterland und bezahlt die Medikamente für ihren Vater. Wie immer ist alles eine Frage der Situation und Sicht. Es ist schwierig, abzuwiegen was aus westlicher Sicht negativ ist oder welche Bedingungen gegen Menschenrecht verstoßen und durchaus verbessert werden sollen.

Als jahrelanges Zwangs - Mitglied des deutschen Einzelhandelsverbandes habe ich mich entschlossen wenigstens an den vermeintlich politischen Einfluss dieser Organisation mit sanftem schriftlichem Nachdruck zu appellieren. Werde gegebenenfalls darüber berichten.

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Es ist schwierig, abzuwiegen was aus westlicher Sicht negativ ist oder welche Bedingungen gegen Menschenrecht verstoßen und durchaus verbessert werden sollen.

Da haben Sie natürlich völlig recht. Die eigenen Maßstäbe zu verabsolutieren, hilft der Erkenntnis nicht weiter. Was wissen wir schon von den dortigen Kaufkraftparitäten und dem sonstigen Lohnniveau. Von daher sollte man eine solche Geschichte einfach auch mal so stehen lassen können ohne zu werten.

Aber ich finds gut, dass sie das thematisiert haben, passt sehr gut in die Vorweihnachtszeit. Und die Frage, was kann man seinem Kind mit gutem Gewissen schenken, brennt uns ja auch auf den Nägeln. Dass die Kinderklamotten von H&M ja vermutlich auch von behinderten indischen Kindern mundgeklöppelt werden, davon muss man leider ausgehen. Auf der anderen Seite ist es auch schwer einzusehen, Kindertextilien, aus denen die Kleinen eh alle naslang rauswachsen, vom politisch korrekten Maßschneider oder aus dem Manufactum-Katalog zu bestellen. Schwieriges Dauerdilemma.

@Mannheim: P-Quadrate, das müßte demnach auf den Planken sein, wenn man Richtung Wasserturm guckt, die linke Seite. Und O sind die Karrées zwischen Planken und Kunststraße. Ja, in diesen Vierecken werd ich auch vermutlich dieses Jahr wieder meine Weihnachtseinkäufe machen. Ist zwar einige Kilometer weiter zu fahren als Darmstadt-Innenstadt, aber in der Quadratestadt find ich mich als langjähriger Mannheimer doch besser zurecht.

Sind Sie da auch ab und zu zugange? Dann könnte man doch mal nen Kaffee trinken gehen.

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…Ja, ich bin in nächster Zeit täglich bis zum späten Nachmittag in Mannheim und ein Treffen zu einem Kaffee im „MORO“ würde mich freuen. Senden Sie mir eine Mail über diese Site.

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Gerne.
Die Location "Moro" muss ich aber noch recherchieren. Mit Cafés/Kneipen jenseits von "Journal", "Broker's inn" und "Café Prag" bin ich nicht mehr soo vertraut. Aber das kriegen wir hin. Ich melde mich.

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Das Café Moro ist in der ÖVA Passage. Die Strasse P 7 (Planken – wie jetzt weiß!) vom Wasserturm kommend ist es die 2te Passage nach rechts – neben dem „Broker´s Inn“. Das Café ist sehr gemütlich – beinahe Filzpantoffelatmosphäre, wird Ihnen sicher gefallen :--))

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Klar, ÖVA-Passage
sagt mir was. Ich meine mich zu erinnern, dass da früher mal ein völlig unooles Oma-Café drin war (wenn ich das jetzt nicht mit der Zürich-Passage verwechle). Als das dichtgemacht hat, hat sich hippes Szenevolk bei der Versteigerung von Mobiliar und Geschirr fast gekloppt. Das war vielleicht bizarr. Mannheim halt...

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Wir tragen die Ausbeutung mit uns herum
Brrr, das ist heftig. Aber so sieht die ganze Welt aus. Wir leben nunmal von der Ausbeutung der Drei Kontinente. Ein paar iranische Freunde haben mal durchdekliniert, was wir an Kleidung tragen und womit das verbunden ist: Schuhsohlen=Kautschukplantagen in Liberia, Lederschuhe=Handnäharbeiten in türkischen und marokkanischen Gefängnissen, Jeans=ägyptische Baumwolle auf Kosten des Getreideanbaus mit der Folge einer Importabhängigkeit von den USA, Lederjacke=Schlachtung von nur fürs Leder gezüchteten Känguruhs usw.

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