Sonntag, 9. Oktober 2005
Blogger gegen Zensur
Jeden Morgen, als erste Tat des Tages schaltet Wang Xiaoshan seinen Computer an und sieht auf seinem Blog nach wer die Site besucht hat, wer ein Kommentar verfasst hat und wer den Text gelobt oder kritisiert hat. Wang lebt in einer kleinen Dreizimmerwohnung im Süden von Peking und ist leitender Kulturredakteur bei der „Neuen Pekinger Zeitung“. Am Abend zuvor hat er einen Artikel über eine Professorin, die in einem Bauerndorf versucht hat eine demokratische Bürgermeisterwahl zu organisieren ins Web gestellt. Die Frau wurde von der Polizei aus dem Dorf geprügelt. Den Artikel hat er für die Zeitung verfasst und sollte veröffentlicht werden. Sein Chefredakteur hat ihn am Abend zuvor angewiesen den Artikel raus zunehmen – auf Anweisung der Propagandaabteilung der Partei, entschuldigt sich sein Chef. Nun erfahren hunderttausende Chinesen die Geschichte im Web. Bis zu 600.000 (!) Leser hat Wang auf seiner Blog-Site.



Vor wenigen Tagen hat die chinesische Regierung neue drakonische Internet-Gesetzte erlassen um auch noch die letzten Schlupflöcher freier und demokratischer Meinungsäußerung zu unterbinden. Schon geringe Verstöße werden mit saftigen Geld- und Haftstrafen geahndet. Jahrelang agierten die kommunistischen Internetkontrolleure auf der Basis der alten Gesetzte – die nach Willkür ausgelegt werden - gegen „staatsfeindliche Nachrichten“. Die elf neuen Verordnungen sollen eine Vereinheitlichung der Nachrichten und Informationen sichern. Angeblich abreiten hunderte Angestellte des Propagandaministeriums nur um die Inhalte von Internetportalen zu kontrollieren. Sechzig Internetaktivisten, darunter auch Blogger wurden in den Monaten wegen Verbreitung „staatfeindlicher Nachrichten ins Gefängnis gesteckt. Wang ist sich des Risikos bewusst, allerdings meint er „Seine Wut ist größer als die Angst erwischt zu werden. Nach den neuen Verordnungen müssen Blogger-Plattformen, wenn sie im Netz Beiträge verbreiten als Medienorganisation registrieren lassen. Wer Gerüchte verbreitet, zu Demonstrationen aufruft oder in welcher Art auch immer die staatliche Sicherheit gefährdet macht sich strafbar. Die Machtzentrale möchte vor allem Bloggern den Maulkorb aufsetzten und sie einschüchtern. Viele haben Angst ihre Meinung weiterhin offen im Netz zu verbreiten und geben auf.

Beim Bloggen bin ich ein freier Mensch und habe Spaß, meint Wang. Das Volk will eine Stimme und es ist gerade dabei sich zu erheben, sagt eine Vorstandsmitarbeiterin von sohu.com. Ihren Namen gibt sie aus Angst vor Repressalien nicht preis und meint weiter „die Chinesen gewöhnen sich gerade daran, sich im Internet zu erheben. Ich bin skeptisch ob die Regierung diesen Prozess noch stoppen kann. Inwieweit eine Zensur gelingen kann und ob die staatlichen Nachrichten die einzige Informationsquelle bleibt abzuwarten. Wang und seine Freunde zu denen der Chefredakteur den Internetportals gehört sind sich einig SINA.com: darüber, dass die Mächtigen im Bloggen eine Gefahr sehen. Anders als im Westen, wo in erster Linie nur Laien bloggen, sind es in China Journalisten und Schriftsteller. Der kritische Blogger im Land des Lächelns bewegt sich an einer gefährlichen Grenze für die Freiheit der Meinungsäußerung und einer unzensierten Berichterstattung.

Und wir? Können wir unseren Kollegen helfen oder wollen wir weiterhin gefällig billige chinesische T-Shirts, Unterwäsche und Socken bei Tchibo kaufen?

Quellen: NZZ, Die Zeit, sina.com; Foto: sina.com in english;

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Ehrlich gesagt
halte ich es für illusorisch, dass ein bisschen kritisches Geblogge ausreicht, um in dem totalitären Riesenreich signifikant was zu ändern. Siehe Iran, da haben ein paar hiesige Sozialromantiker auch gedacht, guck mal, da wird ja kritisch gebloggt, da wird das Mullah-Regime ja wohl bald kollabieren. Was bekanntlich immer noch auf sich warten lässt.

Was das Helfenwollen per Kaufverhalten angeht: Wenn es nur so einfach wäre, das Problem bei Tchibo zu lokalisieren. Aber da sind ja auch Walmart und all die anderen Händler, die Billigklamotten aus Asien feilbieten. Und selbst bei namhaften Markenherstellern kann man kaum noch ausschließen, dass die ihre Plünnen im Reich der Mitte zusammentackern lassen. Ich denke, viele Menschen würden bewusstere Kaufentscheidungen treffen, wenn sie noch überschauen könnten, was wo herkommt.

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Herr Mark:, selbst wenn ich zynisch klingen mag, aber was haben die €10.- Spende für die Flut-, Erdbeben- und sonstigen Oper weltweit gebracht? Nichts wenn man nur eine Spende sieht und etwas menschlich Bewegendes im Gesamten betrachtet. Gut es geht hier nicht um Opfer von Naturkatastrophen die in die Tausende gehen, es geht um Menschen die - wie Sie und ich - ihre Meinung äußern wollen im Sinne einer menschlichen und würdigeren Welt. Ich bin mir bewusst das China weit entfernt ist und uns es wenig kümmern muss wenn da mal ein Sack Reis umfällt. Es geht um die Grundrechte die für uns so selbstverständlich sind das wir sie kaum mehr wahrnehmen und die Vorstellung auf einen Verzicht dieses Privilegs wird schon schwierig. Wir müssen überlegen was für Konsequenzen die Menschen in China und anderen Teilen der Welt auf sich nehmen um auf Misstände, Willkür und Verletzung der Menschenwürde aufmerksam zu machen und zu veröffentlichen. In die Mühlen der Maschinerie eines diktatorischen Staates zu geraten heißt Folter, Gefängnis, Arbeitslager und letztendlich der gewollte Tod. Sie haben Recht die Auswirkungen sind bei kurzfristiger Penetration gering bis gleich Null, vergleichbar mit einer einzigen 10 Euro Spende. Es geht aber auch darum das sich westliche Unternehmen wie Yahoo, Google und so weiter sehr wohl an den Menschen als Konsumenten verdienen wollen einerseits und auf der anderen Seite werden Suchbegriffe wie Meinungsäußerung, Demokratie, Religion und Diktatur, nur um einige Begriffe zu nennen aus den Servern gestrichen. Man kann es „Honig ums Maul schmieren“ nennen wenn schon das Wort A….kriecherei vermeiden will - im Sinne der Aktionäre und Gewinne. Finden Sie das nicht pervers zu googeln (was für ein Wort) und gleichzeitig zu wissen dass an einem anderen Ende der Welt diese Maschine Parteibonzen hilft an der Macht zu bleiben??

Ich glaube das wir nicht nur Konsumenten sind die blind und erhaben über die Würde der Menschen hinweg sehen. Ohne „Bedenken“ gebe es weiterhin verbreitet Kinderarbeit, Rassentrennung und keine Rechte für Frauen. Natürlich gibt es die negativen Auswirkungen machtbesessenen Handels weiterhin, aber jeder noch so kleine Erfolg ist ein Kiesel am Flussufer.

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Ja,
da bin ich völlig Ihrer Meinung. Gerade weil mir ja auch keine größeren Geldbeträge zum Spenden zur Verfügung stehen, versuche ich auch meine bescheidenen Konsumentscheidungen bewusst so zu treffen, dass ich wenn ich schon nicht die Welt rette doch zumindest kleinere Übel wähle. Und speziell das Thema China nehme ich dabei nicht auf die leichte Schulter.

Man muss es leider als Propaganda der Profitgeilen verbuchen, dass die dortige Öffnung der Volkswirtschaft für mehr privaten Konsum über kurz oder lang unausweichlich mit einem Mehr an persönlichen Freiheit und Menschenrechten einherginge. Und speziell die Medienindustrie, die sich ja zugute hält, die Ketten des Eisernen Vorhangs gesprengt zu haben, kriecht den Machthabern in Peking (von mir aus: Beitsching oder wie auch immer) ja seit den frühen 90ern in den Allerwertesten, dass man es kaum glauben mag. Von Yahoo und Google hab ich da auch nichts anderes erwartet als von Murdoch und Bertelsmann.

Aber wie weit man will man es treiben mit den politisch korrekten Entscheidungen? Fox News und RTL nicht einzuschalten lässt sich ja noch durchhalten, nicht bei Yahoo rumzuflickrn geht für mich auch noch an, aber ohne Google (oder vergleichbares) wirds zunehmend schwerer für mich, meine Brötchen zu verdienen. Die kann ich nebenbei bemerkt auch nicht bei Kamps holen, weil der ist ja böse zu den Gewerkschaften, und da könnt ich jetzt glatt vom Hölzchen aufs Stöckchen kommen... ;-)

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...na, Kamps und mit Müllermilch hat er sich auch noch zusammengetan um das kooperative am Geschäft zu verbessern. Was immer das heißen soll.

Herr Mark, wo ist das Begeisternde geblieben oder ist es schon zu spät! :-))

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Nein,
zu spät ist es nicht. Ich entdecke an mir ja manche längst totgeglaubten Impulse, die mein Töchterlein so ganz unverhofft zu neuem Leben weckt. Gerade das Gedanken machen darüber was richtig und was falsch ist hat völlig neue Dimensionen angenommen, weil es - um es nur mal auf das Thema Konsum zu beschränken - jetzt alles noch viel komplizierter geworden ist. Da ist ja nicht nur die Frage, ob die süßen Babyklamotten von H & M von behinderten indischen Kindern mundgeklöppelt werden, da ist ja auch zu bedenken, ob die Kleine mit einem von der Mami geerbten Allergierisiko jetzt schon linksdrehende Babybreie mit glutenhaltigen Getreideextrakten und dergleichen zu sich nehmen sollte oder wenn ja, warum nicht.

Aber gesteh ichs offen: Mit zunehmendem Alter mag ich immer weniger Glaubenskriege führen wie noch zu Studi-Zeiten, wo ich noch glaubte, gut und böse wären völlig klar unterscheidbar. Aber, hach, die Welt ist komplexer geworden...

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ich verstehe
Sie ganz gut. Manchmal habe ich auch Lust aus meinem inneren Kampf auszusteigen und ich hab’s auch über Jahre getan, bis eines Tages der Gedanke aus früherer Zeit wieder ansprang und mich fragte, ist das was ich tue denn wirklich wichtig? Du erziehst dein Kind zu einem kritischen und hellhörigen Menschen und kannst nur mehr aus der Vergangenheit erzählen. Sie lauschte so hingebungsvoll dass ich mich fragen musste "...was für ein Vorbild bin ich heute?". Der Zufall, oder besser eine schwerer wirtschaftlicher Einschnitt hat nicht nur mein Leben verbessert, auch habe ich das Kribbeln wieder, dass in der studentischen Zeit mich in Gefängnise von verschiedenen ehemals osteuropäischen Staaten brachte und Dank meiner Pass-Heimat immer wieder abgeschoben wurde.

Natürlich fahre ich heute nicht mehr mit einem Packet an antikommunistischen Zeitschriften nach China. Dennoch wenn ich müde und satt werde - welches Vorbild stelle ich zur Schau??

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Hm,
Sie rühren da an sehr existenzielle Fragen. Ich bin nach wie vor hellwach und hungrig, aber ob mich das als Vorbild qualifiziert, das muss meine Tochter für sich entscheiden. Vielleicht werd ich ihr ja auf die Nüsse gehen mit meinem Streben nach Nachhaltigkeit, bewusstem Konsum und Verzicht auf Unnötiges.

Dann geh ich noch einen Schritt weiter: Waren meine Eltern, speziell mein Vater für mich ein Vorbild? Zum Teil auch ex negativo - als Beispiel, wie ich es nicht nachmachen wollte. Ich seh auch kommen, dass ein gut Teil der Sozialisation des Nachwuchses eben in Abgrenzung vom Elternhaus funktionieren wird, wie es bei mir auch der Fall war. Von daher seh ich das Vorbild-Thema eigentlich recht entspannt...

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es gibt eine präpubertäre Lebensphase in der man viel gut machen kann und diese sollte man nutzten um Wertigkeiten zu vermitteln... in der Pubertät ist es schwieriger wenn sich die Hormone auf Abwehr stellen und die "Alten" wie wir Verständnislos werden.

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