Samstag, 22. Juli 2006
Shalom and Salaam
oder Israel und Libanon

Wir hier, entfernt von Bomben, geschürtem Hass hüben wie drüben, abgestumpft von sich wiederholenden Bildern schwarzer Rauchschwaden am kristallblauen Himmel des nahen Osten, Leichen und Wehklagen, Zerstörung und Wut, wir die kurz entsetzt sind und etwas länger über steigende Ölpreise nachdenken, manchmal so was wie einen Schuldigen suchen und teils auch medial vermittelt bekommen. Wir fragen uns ob es irgendwo Proteste gegen den Krieg gibt, in Israel, im Libanon oder sonst wo.

Ja es gibt Gegner dieser Auseinandersetzung und es gibt die Weblogs die vom Kriegsalltag erzählen, auf der einen wie auch auf der anderen Seite. Das Web macht es möglich außerhalb gesteuerter Medien, das Israelis und Libanesen sich gegenseitig ihre Lage berichten, manchmal mit Anschuldigungen aber auch mit der Erkenntnis wie sinnlos und mörderisch dieses handeln ist. Begegnungen im Netz die auf die Situation der jeweilig andern Seite aufmerksam machen und diskutiert werden.

Hier einige der Weblogs:
http://muqata.blogspot.com/
http://www.beirutundersiege.blogspot.com/
http://arabist.net/
http://westbankblog.blogspot.com/
http://jblogosphere.blogspot.com/2006/07/israel-rally-central.html
http://ontheface.blogware.com/blog/_archives/2006/7/17/2130104.html
http://www.lebanonexpats.org/
http://ontheface.blogware.com/
http://www.israellycool.com/blog




Werter Leser und Blogger, wenn Sie eine Meinung oder einfach Fragen dazu haben, die bloggenden Kollegen der oben genannten und weiterer Sites sind dankbar zu erfahren dass die Welt diesen Krieg nicht übersieht. DANKE!
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Samstag, 17. Juni 2006
Rückblick / pogledam nazaj
Abgesehen von geschwisterlichen und elterlichen Besuchen gibt es nur zwei Gründe an die Stätte der Kindheit für einige Tage zurück zu kehren. Entweder hat sich in der Erinnerung eine beschauliche Romantik über die vergangenen Zeiten des Werdens ausgebreitet oder statt verklärter Kindheitssicht, treten einem Dämon gleich die Jahre des Kind- und Jugendlichseins zutage. Vor Ort relativiert sich das Gefühl, es entspricht weder der Erinnerung in Abwesenheit noch der vergangenen Realität. Freude, Trauer graben sich aus dem Inneren hoch, imaginäre Türen zu damaligen Emotionen werden geöffnet und heraus fließt das Leben das geprägt hat. Und dennoch entspricht es nicht vollständig der wahren Empfindung von Damals. Zu viel inzwischen Gelebtes nimmt den amplitudenhaften Emotionsbegegnungen die Spitzen und die Tiefen. Das innere Messinstrument zu eichen, den Ausschlag nach oben und unten wieder spüren, die Gleichempfindlichkeit abzuschütteln, dazu dient ein Sehen und Fühlen am Ort der ersten Prägung.

Die Landschaft hat an schmerzhaft schöner Idylle durch die Abwesenheit gewonnen. Einige Tage, um die hier erlebten Jahre wieder mal zu spüren, einzutauchen in die erzählten Geschichten und erlebten Zeiten reichen nicht. Der Hof, das Haus, Wiesen, Felder, Wege , alles Vertraute, alte Bekannte die sich nun mit wenig Leben erfüllt, beschauen lassen. Alle Farben und Töne der Landschaft sind eingebrannt und in der Vorstellung wechselt das satte Grün der Gräser und Wälder problemlos ins herbstliche Bunt oder das schwere, weich zeichnende Licht des Sommers. Die Begleiter von früher sind gestorben mit dem Wissen der Verbundenheit zu dem Stück Erde das sie Mühe gekostet aber auch Freude gebracht hat oder sie sind weggezogen in ein leichteres, sicheres, komfortableres Leben. Kein Rufen nach den Kindern, kein Gerassel von Ketten aus dem Stall und auch das rumoren der hungrigen Tiere ist verstummt. Am alten Zuggeschirr der Pferde ist das Leder porös geworden, der mit Kalfonium gewachstem Garn der Nähte ist nicht mehr zu erkennen. Auf dem Speicher stehen noch die schweren Holzwagen für den Transport mit Pferden und die kleine dachlose Kutsche, das Lieblingsgefährt der Kinder wenn es den mal zu hohen Feiertagen oder Trauerfeierlichkeiten hinter das massige Pferd gespannt wurde, unproportional groß das mit Trauerbändern geschmückte Zugpferd zu der zierlichen Kutsche. Geregelte Aufgaben und Mitwirken am Hof begleitete die Kindheit, kein Tag ohne Wasser für die Tiere aus dem Brunnen zu schöpfen, bei sommerlicher Trockenheit aus dem entfernten See zu holen, im Frühling morgens die Kühe auf die Waldweiden zu bringen und spät abends beinahe schlafend das Essen zu verschlingen. Das sind die alltäglichen Dinge gewesen die sich nicht verscheuchen lassen. Ich habe das Gefühl den blechernen Eimer mit dem Seil suchen zu müssen um die Tränke zu füllen, den eisernen Korb holen und hinter der Scheune gespaltenes Holz zum Kochen und Brot backen in die Küche bringen, die dreispießige Gabel in der Hand um die Stallungen zu säubern. Die anerzogene Rastlosigkeit von Damals treibt den Wunsch auf die Berge zu steigen und von oben den nächsten Gipfel erspähen um auch diesen vom sinnleeren Aufholen getrieben, zu erklimmen.

Die kindliche Welt, bis zum ersten Schultag behütet, abgeschirmt vom Wissen des Andersseins und der bitteren Erfahrung von Nichtdazugehören endete mit einem Schlag. Erst neugierig und erpicht darauf die Sprache der Lehrer zu lernen, sich verständlich machen um zu erzählen und mathematische Aufgaben auch in Deutsch zu lösen, nach kurzer Zeit die Erkenntnis das es nicht reicht die Sprachebarriere zu überschreiten. Nein, in den Augen der Anderen der sich als bessere Menschen, da deutsch sprechend, selbst Verherrlichenden blieb man der „Windische“ (Schimpfwort für Slowenen). Windiges Lavieren war schnell erlernt, zwischen den Zeilen windender Sätze über Toleranz war die Hoffnung auf Anerkennen, nicht vollwertig - immerhin ein wenig mehr, zu hören, wenn nur die mütterliche Sprache und die Kultur abgelegt, verleugnet wurden. Erstaunlich wie schnell und wie viele sich dem Angebot beugten und verleugneten das ihr Name auch ihre Herkunft verrät. Der Wunsch zu flüchten aus diesem Desaster von verlogenen Versprechen und Zweitrangigkeit war sehr früh geboren. Flucht an einen Ort der ahnungslos ist und nicht unterscheidet zwischen Sprachen und Mentalitäten. Der erste Aufbruch zur Flucht waren Bücher, später das rastlose Suchen von Städten weltweit. Nein, nichts mehr ist von dem Schaubar nur der lächerliche Wunsch es noch mal zu erleben. Diese dumme Ungeduld, manch Unverarbeitetes noch mal zu durchtauchen ohne das es einen Schmerz hinterlässt.

Das südliche Kärnten und die Landeshauptstadt Klagenfurt. Ein Landstrich, eine Stadt der Denk- und Mahnmähler für eine Freiheit die, die Deutschkärntner nach dem Kriegsende 1918 und dem Zerfall des maroden Kaiserreiches mit den seit Jahrhunderten hier beheimateten Slowenen gegen die Machtansprüche des damaligen Jugoslawien erkämpften, auch unter der Mithilfe und des diplomatischen Eingreifens des Obersten Rats der Alliierten in Paris. 1920 bekannte sich die Mehrheit der Slowenen in einer Volksabstimmung zu Österreich, zu ihrer angestammten Heimat, zum sprachlichen Spagat zwischen deutschen Kaisern, Fürsten, deutschnationalen Landeshauptmännern und der eigenen Kultur. Zugegeben, mit Lockungen und Versprechen die tunlichst nach der Auszählung der Stimmen wieder revidiert wurden und so eine Kulturgruppe sekundärer, wenn nicht minderer Kärntner entstand. Die Geschichte ist auch hier eine Folge von Wiederholungen. Nach 1945 versuchte Jugoslawien wieder die Wirrnisse des Kriegsendes zu nutzen um das südliche Kärnten als ersten Schritt aus dem panserbischen Wunsch eine Realität zu schaffen. Die, in den letzten Kriegstagen aus Italien einrückenden Alliierten drängten die Jugoslawen wieder hinter die Grenze. Betroffen von den Morden und Vertreiben während des zweiten Weltkrieges waren die Menschen die an der Grenze lebten. In erster Linie Slowenen. Männer, Brüder und Söhne der Familien, vorwiegend waren es Bauern, wurden von den Nazis eingezogen, an den Fronten verheizt und zuhause im Niemandsland zwischen Faschismus und antifaschistischen Partisanen wurden die slowenischen Familien deportiert oder ermordet – von beiden Seiten. Wehrte sich jemand aus politischem Desinteresse oder Überzeugung gegen die Befehle der kommunismusnahen Partisanen wurden kurzerhand alle Verwandten vom Greis bis zum Säugling massakriert. Nicht anders erging es den Menschen die dem Druck nicht standhielten und die Freischärler aus dem Süden mit Nahrungsmittel und Unterschlupf versorgten. Hier griffen die Nazis ein und entledigten sich der Verirrten auf gleich brutale Weise. „In der Nacht kam der Tod über die Karawanken und am Tag wüteten mordend die Nazis an den Überlebenden…“ erzählte mir eine ältere Dame aus der Gegend, vor einigen Jahren. Die Nazis, das waren keine Soldaten aus dem Kernland des Dritten Reiches, diese Nazis kamen aus dem nächsten Dorf, aus der nächsten Stadt, es waren „deutsche Kärntner“.


Es ist auch eine Stadt in der die Geschichte nach Gutdünken gebogen und interpretiert wird. Die historischen Scheuklappen mussten schon sehr eng gestellt worden sein um ein Denkmahl für die von den Partisanen Ermordeten vor dem Klagenfurter Dom zu errichten. Ein Erinnern an die Ermordeten Klagenfurter Juden, Romas und Sinti, Andersdenkenden und die aus der Heimat vertriebenen Slowenen ist nicht zu finden. Zu viele ehrenhafte Bürger die mitmachten und die Vergangenheit einer Demenz gleich verschollen aus dem Gedächtnis. Wenige, sehr wenige sind mutig genug eine brauchbare Form von geschichtlicher Bewältigung zu betreiben.

2006: Anders als noch in den Sechzigern des letzten Jahrhunderts sprechen und verstehen die Slowenen alle Deutsch und die Sprache aus der sie geboren sind klingt beinahe fremd. Kinder dürfen wieder slowenische Kindergärten besuchen und in den Schulen besinnt man sich der gemeinsamen Geschichte. Kulturelle Eigenheiten haben sich vermischt und selten denkt man noch an die gesprengten Denkmähler und abgerissenen Ortstafeln von früher. Oberflächlich scheint alles weit entfernt und vergessen. Es gibt kein Jugoslawien mehr. Die panserbische Idee glimmt im Untergrund und wurde nicht mit Milosevic begraben. Ein geborener Kärntner, Peter Handke trauert um diesen unberechenbaren Psychotiker, verehrt und beehrt ihn am Grab. Der Tod des Cholerikers, ist er ein Hoffnungsschimmer des Friedens für die Menschen am Balkan? Der ehemals zweite Erzfeind Slowenien ist politisch und wirtschaftlich in einem aufstrebenden Kurs, hat Kärnten wirtschaftlich überholt, nebenbei auch noch EU-Mitglied. Der Kärntner Abwehrkämpferbund besteht weiterhin und windet sich in Berechtigungserklärungen.

Zum dreißigsten Mal wird die literarische Sau durch die Stadt getrieben um Feuilletons der FAZ, NZZ und Süddeutschen zu füllen Eine versöhnende Geste für Ingeborg Bachmann. Bei der Menge an Denkstätten habe ich das „Robert Musil Haus“ nicht gefunden. Das Stück „Die Brandstifter“ wird nicht auf der Bühne des Staatstheaters gespielt. Einige Straßenzüge südlich ist die beamtete Stube des Possenreißers und Brandstifters dem ein ganzes Bundesland als Bühne zu Füssen liegt. Gesetzte und Vereinbarungen werden umgangen und die ortsankündenden Tafeln um einige Zentimeter versetzt damit diese nicht in zwei Sprachen das zu Erwartende künden. Was wären auch die zweisprachigen Ortstafeln heute? Nicht mehr als Grabmähler für eine längst verlorene Sprache und dialektische Eigenheiten. Nein, die Lettern dürfen sich nur in Deutsch vom reflektierenden Weiß abheben. Eine ernsthaft gemeinte Provinzposse die ohne Bedeutung wäre, wen der Hans Wurst nicht manchmal seine manische Phase dahingehend ausleben würde in dem er allen Ausländern und Fremden welcher Hautfarbe, Nationalität oder Religionszugehörigkeit auch immer zeigt wer der Herr ist, wer willkommen ist und wer draußen bleiben soll. Seine Nazi und SS verehrenden Weißheiten sind nicht mehr öffentlich zu vernehmen und was im Freundeskreis gesagt wird dringt auch nicht nach außen. Die richtigen Freunde finden sich hier schnell, es gibt eine Menge davon. So mancher Herrgottswinkel schmückt sich nicht allein mit dem Gekreuzigten, darunter im schlichten Rahmen das leicht verblichene schwarzweiß Bild des Großvaters in Wehrmachts- oder SS Uniform. Eine Ikone hat auch eine Rückseite und so mancher verbirgt hier seine wahre und unveränderte Gesinnung.

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Dienstag, 13. Juni 2006
Time to make friends
WM 2006! Kein Schritt auf der Strasse, kein Blick in ein Schaufenster, kein Radio- oder Fernsehprogramm ohne diese lästige Penetration – Fußballweltmeisterschaft 2006! Eine Werbeidee dumpfer, wiederholender als die Nächste. Ein Wettkampf der Einfältigkeit um Brötchen, Matratzen, Wundheilpflaster, Schlittschuhe und Bier an den zwangsbegeisterten Konsumenten zu bringen Selbst Mozart und Goethe werden ohne Zustimmung rekrutiert und die orthodoxe Ikonenmalerei als der Vorläufer heutiger verehrter Fußballhelden geflissentlich gepriesen. Man stelle sich das Bildnis Ballacks, das Haupt umkreist vom goldenen Heiligenschein, auf einer handgehobelten Eichenholztafel verewigt vor. Nichts Öffentliches und nichts heilig Intimes das nicht dem Runden fürs Eckige herhalten muss.

Nein, ich bin kein wirklicher Fußballfan, ganz zu schweigen von einem favorisierten Erst- oder Zweitliga Verein. Aber eine Weltmeisterschaft hat eine andere Dynamik, vor allem wenn sie vor der Haustür stattfindet und Emotionen der begeisterten Masse hautnah fühlbar werden.



Die Frankfurter Sky Arena am Main (Public Viewing) bietet Hunderttausenden Besuchen Platz für ein gemeinsames Mitfiebern und Erleben der Spiele auf riesigen Bildschirmen. Nationen vermischen sich zu einem friedlich kochenden Event und viele Sprachen sind keine Barriere um Meinungen und Siegesrufe auszutauschen. Dominierend am Freitagabend zur übertragenen Eröffnung der Weltmeisterschaft waren nicht die Deutschen, Engländer so weit das Auge reicht und das Ohr bei diesem Lärm ein Wort verständlich ausmachen kann. Sangesfreudige Insulaner, vom Immobilienmakler aus Mancaster bis zum Dachdecker aus Yorkshire strömten zum Mainufer, ließen sich durchsuchen bevor der Bühnenbereich betreten durften. Der Halbliterbecher mit Bier reichte meist nicht um den Durst der Hitze zu stillen und die Heiserkeit aus gemeinschaftlichem Gesang geboren, zu lindern. Einen ganzen Liter im Plastikbecher, schnell warm aber sicher, falls er aus versehen jemanden am Kopf fällt. „Das sind keine Houligans“ erklärte ein Engländer im weißen T-Shirt mit rotem Kreuz an der Schulter „…das ist der englische Song Contest“ der rot gesottenen Oberkörper.



Ausgelassene Fröhlichkeit mit prickelnder Spannung auf den Strassen und Plätzen, keine Aggressionen oder aufwallender Unmut,auch nicht gegen die Polizei die sich mit großem Aufgebot im Hintergrund hielt. Kleine Eskalationen wurden mit einer Hundertschaft schnell beendet und die Justitia überm Brunnen am Römer kleidete sich mit englischen Fahnen, wurde von mutigen Kletterern singender weise beehrt und liebkost. Dem deutschen Bier sei Dank! Nicht anders erging es Karl dem Großen, den in Stein gehauenen Bewahrer deutscher Heldentaten und Inbegriff germanischen Mutes. Auch er wurde zum Sachsen, zum Angelsachsen gekleidet. Deutsche Fußballidentität bröckelte hie und da am Samstagabend nach dem unverdienten Sieg der Engländer. „Neun deutsche Bomber flogen nach Britannien…die Royal Air Force steig auf und es waren nur mehr acht…“. So mancher verzog die Miene – sofern verstanden - bis kein deutscher Bomber über englischem Eiland mehr besungen werden konnte. Nach altehrwürdiger Inselsitte wird Bier über die Singenden vergossen und das Lied beginnt von vorne, wieder mit neun deutschen Bombern. Eigenartig die Nachwehen, sowohl auf der einen Seite mit in Kunststoff gegossenen Kriegshelmen und aufblasbaren Messerschmitts grölenden Britten und im Vorbeischlendern die gesenkten Blicke der Deutschen – schuldbewusst? Diese Zeit wird wohl lange ein Stachel auf beiden Seiten im Fleisch des Erinnerns bleiben.



Es ist einfach begeisternd zu sehen und zu fühlen, das es möglich ist miteinander auszukommen und in Freundschaft zu begegnen, egal welche Hautfarbe, welche Nationalität und welche Religion auch immer. Ein großes Lob auch den Frankfurtern die freudig den Gästen auf Fragen antworten und manchmal radebrechend den Weg zur Äppelweinkneipe oder in die Stadt erklären. Ungewohnt freundlich und zuvorkommend sind die Begegnung der Gäste mit den dienstschiebenden Polizisten und Mitarbeiter der Security Dienste. Time to be a friend!

Weiteres Stimmungsbild bei http://bembelkandidat.blogg.de/eintrag.php?id=810

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Samstag, 13. Mai 2006
Frühlingskonzert
Zu den elterlichen Pflichten gehören nun mal auch Schulkonzerte, egal ob Frühlingserwachen, sommerliche Schwüle, weihnachtliches Gloria oder Schuljahresbeginn bzw. dessen Ende das Thema sind. Meist bekommt man dann zwei bis drei Tage vor der Veranstaltung einen Schnipsel Papier mit dem Stempel der Schule und einem Datum, vom Kind in die Hand gedrückt mit den Worten: „Du kommst doch und bitte vergiss nicht die Karte…und komm nicht zu spät. Wir treten als Zweite auf!“. Die Termine stehen schon seit langem fest und ich muss zugeben dass, das Erinnern schulischer Termine nur die Elternabende, Elternstammtische, Elternsprechtage und Schulausflüge beinhaltet. Hätte man, angenommen ein Kind das keine musikalische Ambitionen pflegt, würde es einem nicht in den Sinn kommen da hin zugehen. So ist es nicht! Das Kind singt im Unterstufenchor, ahmt Arien nach und kratzt am Cello, nicht täglich aber die zweimal pro Woche reichen um nachdenklich zu werden. Die Cellolehrerin behauptet jedes Mal was für tolle Fortschritte das Kind im Unterricht macht. Entweder sind Celloschüler eine rare Gattung oder mein musikalisches Gehör ist wenig bis gar nicht entwickelt, ich höre keine Fortschritte, so sehr ich mich auch bemühe, die gestrichen entlockten Töne verwandeln sich in keine Melodie. Heimlich, wenn das Kind morgens zur Schule gegangen ist, schäle ich das Instrument aus der Tasche, entblöße den Bogen aus dem Tuch und streiche sanft die Saiten. Freude steigt aus dem Bauch hoch über das Brustbein bis zu den Haarspitzen, Freude über die entstandenen Töne auch ohne Melodie. Eine Sehnsucht aus Kindertagen.

Aber von mir hat das Kind ja auch nicht die musische Begabung. Meine Karriere als Sänger und Musiker endete bereits in der ersten Klasse der Grundschule oder Volksschule wie es hieß. Beim Lied „..im Frühtau zu Berge…wir gehen walleraaaa…“ – Ja, ich bin in den Bergen des Südens aufgewachsen – versuchte die nette Lehrerin die tiefe brummende Stimme aus dem engelsgleichen Kinderchor mit vorne stehenden blondlockigen Mädchen, herauszufiltern. Nachdem sie meinen melodiösen Vortrag gehört hat war der Ungeist gefunden und ich wurde der küssenden Muse entrissen. Ab nun hatte ich während des Klassensingens die Aufgabe, ihr die Notenblätter hoch und den Mund zu halten. Andererseits war es für mich nicht wirklich eine Niederlage. Die Verantwortlichkeit für die Noten war etwas Besonderes und ich war dieser, so gut riechenden Lehrerin immer etwas näher als meine singenden Mitschüler. Es wohliger Schauer streifte meinen Körper wenn sie beim Vorsingen die Zähne entblößte, die Lippen spitzte und durch die Bluse ihr BH weiß, makellos schimmerte. Ähnlich erging es mir beinahe in bildnerischer Erziehung. Keine der von mir abgelieferten Zeichnungen wurden von ihr als die Meinen anerkannt, doch da hatte ich Rückendeckung von dem Mitschülern und somit erhielt ich bei ihr immer eine Note zwischen brauchbar und befriedigend. Den Lehrern ein Schnippchen schlagen war lange mein erklärtes Ziel und von Jahr zu Jahr wurden meine Interpretationen von gestellten zeichnerischen oder malerischen Aufgaben absurder. Die beste Note, die für meine Werke vergeben wurde war immer die zweitschlechteste. Prinzipiell wurde meine Arbeit als letzte gereicht und auch der Klasse als nicht wert „Kunst“ genant zu werden, vorgeführt. Bei einer Nachfrage an den Kunstbeurteilenden was er wohl Picasso für Noten gegeben hätte, erhielten meine Eltern einen Brief „…meine Kritik stellt den Kunstunterricht in Frage und wirke sich störend und negativ auf das Verhalten der Schüler aus“. Der Versuchung widerstehe ich jetzt nicht zu sagen „…es waren andere Zeiten“, war ja auch so. Wie etwas zu sein hat oder ist war geregelt und unumstößlich, unten im tiefen Süden. Jahre später hatte ich dennoch obsiegt. Der Briefschreibende Kunstbeurteiler sandte mir eine kümmerliche Postkarte mit Glückwünschen zur Ausstellung in Mailand und Los Angeles. Zu spät! Brotlos ist Kunst erkannte ich schmerzhaft.

Die Aula der Schule ist bis auf den letzten Platz gefüllt und ich zwänge mich an der Wand entlang zur Mitte um zu sehen und natürlich auch gesehen zu werden, vom Kind wenn es mit dem Unterstufenchor auftritt. Die Direktorin drängt durch die erwatungsvollen Eltern und Ahnverwandten der Künstler. „Sie sind doch Herr L.“ stellt sie plötzlich vor mir stehend fest. „Ach, entschuldigen sie Herr S. das ich sie verwechselt habe“ erklärt sie, vermutlich nach dem sie meinen skeptischen Ausdruck gemustert hat. „Nein, Frau K. es tut mir leid aber weder bin ich L. noch S.“ Etwas verwirrt entkommt ihr ein beinah verärgertes „Wer sind sie dann, ich kenne sie doch!“. Ja, wir kennen uns, mein Name ist E.“ sagte ich etwas süffisant und die Situation genießend. „Ihre Tochter ist doch Luisa, ach nein, na – Katharina?“ klang sie jetzt freudig. „Meine Tochter heißt V.“ gab ich in großzügiger Sprachmelodie zurück. Etwas gekränkt verabschiedete sie sich mit einer Entschuldigung und dankte mir für die großzügige Spende, die der der Schule zugekommen ist. Welche Spende? Ich habe im letzten Herbst zwar etwas Geld der Schule überwiesen, aber durchaus nicht eines öffentlichen Dankes wert. Die Augen der Umstehenden ruhten lächelnd und mit einem Hauch von Neid auf mir. Das aufsteigende Wohlgefühl suchte sich schuldig fühlend nach einer wirklichen Wohltat. Genieße es, dachte ich mir, das war der Dank für all die Spenden und Mitarbeit der letzten Jahre, angefangen im Kindergarten.

Im Gewirr der Stimmen und den spannungsgeladenen Tönen der einstimmenden Instrumente drückte sich die Direktorin zum Rednerpult, ans Mikrophon. Nach salbenden Worten zur Einführung dieses Frühlingskonzerts verneigte sich der Leiter des Orchesters vor dem spannungsgeladenen Publikum, drehte sich um und hob die Hand mit dem Taktstock. Stille. Auf Rührung wartende Elternaugen. Die ersten Töne setzen ein, Geigen, Trompeten, Querflöten, eine Pauke und leise, so nebenbei ein Klavier. „Titelmelodie Starwars“ steht auf den Programmblatt. Starwars, das ist für mich ein Inselutensil, die Melodie habe ich mir verinnerlicht und ohne Titelmelodie, ohne diese Einstimmung verliert Joda seine Macht der hellen Seite und die Prinzessin ihren kindlichen Liebreiz. Der Raum seine Unendlichkeit. Nichts davon erkenne ich aus dem Wirken des Zusammenspiels der Instrumente. Die Trompete schlägt die Streicher erbarmungslos ins Gewinsel, der Pauker schießt unverhofft Salven in die eigenen Reihen, zwischenrufend quäkt die Oboe, einem sich nicht öffnenden Lichtschwert gleich pfeifen die Querflöten durch das Schiff. Ein wahrer Kampf der Welten, nicht hörbar die Guten und nicht die dunkle Seite. Doch plötzlich verendet das Tongewirr und leise steigt, wie eine akustische Lichtgestalt die Melodie einer Geige hoch. Ein beachtliches Solo, zart, fein und genau. Eine zweite Geige erklingt zur Erhabenheit, unterstützt das Schweben der Töne bis wieder der General mit dem Taktstock die Kämpfer der Akustik in den Krieg befiehlt. Überraschter, verhaltener Applaus setzt ein. Irgendwie sind alle betroffen, Nicht erklärbar ob vom der erlebten Kampfhandlung oder überhöhter Erwartungen. Das zweite Stück des Orchesters zwingt meine Gedanken zu Umberto Eco´s foucoischen Pendel, in den Untergrund von Paris, zum schaurigen Schlendern durch Notre Dame, zu den Ritten der Templer und ihren unergründlichen Geheimnissen. „Das Phantom der Oper“, dieser Vortrag des Musikstücks lässt die dunklen Weiten einer versteckten Unterwelt der Pariser Oper erahnen. Kurze Pause! Das Orchester erhebt und verneigt sich – geht ab.

Rund hundert Kinder gehen eingeübt bedächtig auf die Bühne und stellen sich in drei hintereinander folgenden Reihen auf. Einer, dieser hysterischen Übermütter gleich bin ich versucht die Hand zum Winken zu erheben als das Kind die Bühne betritt. Die Linke hält die Rechte fest und der Blick auf das geliebte Kind gerichtet bis es mich bemerkt und nickt. Wie unterschiedlich groß die Elfjährigen sind geht es mir durch den Kopf und anders als erwartet überragt ein Teil der Mädels um einen Kopf die Größten der Jungs. Einer, der Laserstrahl abschießenden Trompeter (ein Lehrer) stellt sich vor dem Chor auf und fuchtelt das Zeichen des Beginns. „… ist… das...des Bassa Selim…Haus, - …ist…das...“ fragend nicht nur die Worte auch der Blick der Kinder. Nach einigen Takten versuchte eine kleine Gruppe die Arie aus der Oper „Entführung aus dem Serai“ etwas zu beschleunigen, durch das massive Eingreifen der Mitstreiter misslang dies Vorhaben und der gequälte Verlobte muss sich im vorgegebenen Andante quasi Piano gedulden. Mit einem Akzent mehr Schwung und Betonung, und der Vortrag ist hervorragend. Gut, ich gebe zu mit meiner Kritik im milden Bereich zu bleiben, zumal das Kind den Aufwand der Proben erklärt hat und die Tatsche des es zu keinem stimmlichen Kampf zwischen dem Suchenden und dem Haremsvorstand kam. Applaus, diesmal mit glücklichem Strahlen und so manches Auge feuchtete über das notwendige Mass. Wie gut, denke ich leise das die Talente (wenn teils auch vermeintlichen) der Kinder heute gefördert werden und am effizientesten gelingt das auch spielerisch und lobend. Das Ohr, die Augen und die Sinne zu schulen für Kultur und Kulturverständnis kann nur durch frühe Beteiligung wirklich verinnerlicht werden. Wer die eigene Geschichte begreift ist auch offen für weitere Einflüsse und interessiert gegenüber dem Anderen, dem Vielfältigen.

Mit einer guten Portion Stolz die Brust und das Glas in der Hand mit Sekt gefüllt, trete ich auf den Schulhof, genieße den milden Abend. Nur das mit dem Cello – das muss besser werden, liebe Tochter!

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Mittwoch, 19. April 2006
Aussterben!
Ah, Deutschland!
Die Lenden deiner Söhne, kraftstrotzend verweigern sie sich
Die Schöße deiner Töchter, fruchtbar und verhalten….



Die Diskussion über das nahe gerückte Aussterben der Deutschen, dieser verspätete Abgesang von Familien und familiären Bünden, erfasst mich teils mit Freude und teils mit Melancholie. Politiker und vor allem -Innen, ebenso wie geistreiche Gesellschaftsforscher, Psychologen, Anthropologen, Biosoziologen und jeder der sich berufen fühlt, geben erschrocken und aus dem Ärmel schüttelnd Statements ab. Erklären zum zigsten Mal das der Deutschen zu wenige sind und in Zukunft noch weniger werden, bis hin zum letzten rheinischen Mohikaner. Schnell werden noch Schuldige gesucht, die dort gefunden werden wo man sie immer findet, bei den Anderen. Bei der anderen Partei, beim anderen Geschlecht.

Genau das ist der Punkt: die Männer! Weil die Männer seit der geschlechtlichen Revolution keine sexuelle Macht mehr ausüben dürfen und können, gründen sie keine Familien mehr, vor allem keine mit Kindern. Als realerotisch traumatisiert, ihrer Erektion durch die Gleichstellung der Frau beraubt, zurückgezogen in die virtuell heile Welt der unterwürfigen und gefügigen Frauen, werden sie beschrieben und besprochen. Manchmal schleicht das Gefühl hoch das früher, vor der Pille, vor Alice Schwarzer, vor der weiblichen Emanzipation vom Mann und Gebären Kinder gewaltsam gezeugt, Frauen nach Comicmanier an den Harren in die Wohnung (Höhle) geschleppt wurden und gegen ihren Willen begattet, schwanger wurden und gebären mussten. Nach der erlittenen „Schändung“ haben sie das Frühstück zubereitet, haben das Bier für ihren Schänder nebst einem Stück rohen Fleisch eingekauft, den Haushalt gefeudelt und die Söhne und Töchter zu aufrechneten deutschen Bürgern erzogen. Darauf geachtet dass alle eine gute Schulbildung bekamen, die Universität besuchten oder einen Beruf erlernten, damit sie eines Tages selbst entscheiden können Familien zu gründen oder lieber das großartige Leben zu genießen. Die Väter waren nach dem, das Weibliche diskriminierenden Akt der Zeugung nur noch Ernährer oder diejenigen die Grundlagen für eine (bessere) Zukunft beschafften. Anstelle einer Anerkennung für ihr Opfer und die Fürsorge für die Familie wurden sie gesellschaftlich als patriarchalische Schlagstockfaschisten, als Pantoffelhelden ihres spießigen Ideales von Familie, als potentielle Vergewaltiger und Kinderschänder geächtet.

Heute kaufen zeugungsfähige Männer Roadsters von BMW und Mercedes oder den Chayenne von Porsche, vorwiegend in Schwarz. Schwarz ist Ehrfurcht, gute Stellung, zeigt Potenz und Schwarz ist cool. Diese Helden der Aktiengesellschaften, der nach oben schwankenden Börsenkurse und stolperfrei glatten Versicherungen leben in serieller Polygamie und jetten mit ihren jeweiligen ebenso gut ausgebildeten und erfolgreichen Gespielinnen nach New York oder London, Barcelona oder Mailand mal übers Wochenende zum Relaxen und einkaufen. Investieren das verbleibende Gehalt in Fonds und Optionsscheine, beteiligen sich an Immobilien. Leisten sich Loftwohnungen mit Gaggenau Küchen, spät abends lesen sie auf ihrem B+B Sofa das Handelsblatt oder Harvard Business und hängen Flachbildschirme von B&O neben die Cassina Wohnwand mit integrierter Dolby Surround Anlage und über allem hängt der kitschig romantische Lüster von Lampert. In den wenigen Augenblicken zwischen dem satten Plong der Mikrowellenofentür und dem piepsen des Mikrowellenofens, das verkündet das die Tortellini speciale heiß sind, in dieser Minute denken sie kurz über die innere Leere und das Gefühl von „Istdasalles“ nach. Wenn der Bildschirm zu leben beginnt haben sie es schon wieder verdrängt, diese leise Sinnsuche, verschoben nach später, nach irgendwann.

Es gibt auch noch die Andern, die mit dem Spießerideal von Ehefrau und Kindern. Verbliebene, unverbesserliche Idealisten. Sie folgen nicht mehr nur den Spuren ihrer Väter. Die meisten leben ein neues Bild von Vaterschaft. Kümmern sich um die Kinder, entlasten die Frauen bei der Erziehung und Hausarbeit und manche verzichten auf Karriere und Ansehen im Beruf. Ihre Ehefrauen haben die besseren beruflichen Chancen und verdienen mehr. Diese Männer kaufen Windel statt Computerspiele, sind geübt im Trösten und Fiebermessen, beim Verabreichen von bitterer Medizin. Gestalten die Beziehungen zum Kindergarten, zur Schule mit. Bringen sich ein mit Verantwortung und manchmal mit einem Eimer Farbe wenn das Klassenzimmer neu gestrichen werden muss. Horte, Schulen und Kindergärten leiden chronisch an fehlenden Mitteln zur Sanierung. Väter der neuen Generation sind nicht mehr nur Beibringer von Ressourcen, sie leben ebenso die Mehrfachbelastung die eine Familie mit sich bringt. Wenn Ehen scheitern so übernehmen sie als Teilzeit- oder Alleinerziehende die Verantwortung, teilen ihr Leben ein, zwischen Beruf und Kind(ern), zwischen Tagungen und Meetings, Abendessen und durchwachten Nächten am Bett der kranken Kleinen. Auch sie haben manchmal Sehnsüchte die nichts mit ihrem wahren Leben zu tun haben, auch sie denken an zwei Wochen Urlaub ohne Verantwortung und knapper Kasse. Manchmal denken sie auch ans Alter, wenn es nicht gereicht hat für eine private Rentenversicherung oder daran was die Ausbildung der Kinder noch Kosten wird und daran wie sicher ihr Job ist. Emotional und örtlich gebunden sind keine guten Voraussetzungen für einen neuen Job. Gesellschaftlich belächelt schieben sie mutig den Kinderwagen, hören von Freunden das sie gerne zur Feier oder Party kommen können, aber bitte ohne Kind. Sie sind das schlechte Gewissen, die Spielverderber einer modernen Gesellschaft.

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Sonntag, 12. März 2006
Blogger Lesung in Frankfurt
Irgendwie war ich neugierig, auf die Blogger Lesung im Cafe International in Frankfurt, gestern Abend. Im Ranking der Neugierde stand an erster Stelle die Menschen hinter den Blogs mal in Natura zu sehen und nach Möglichkeit Da und Dort, mit Diesem oder Jenem einige Sätze zu wechseln, ganz einfach unterhalten. Beim Lesen und Kommentieren der Beiträge auf den unterschiedlichen Sites versuche ich mir den Menschen dahinter vorzustellen, hinter den Sätzen und zwischen den Zeilen. Nicht das ich anfange genaue Bilder von Größe, Statur oder Alter in meinen Gedanken zu malen, obwohl ich zugeben muss, das solche schattenhaften Umrisse sich immer nach vorne, in die bewussten Gedanken drängen. Im Blog geschriebne Wörter und Sätze sind ausgesucht, revidiert, mehr oder weniger passend zusammengestellt und einen falschen oder peinlichen Satz kann man immer noch löschen, vor oder nach der Freigabe im Netz. Interessant ist, den Menschen direkt im Gesamteindruck zu begegnen, seinen Ausdruck, die Körpersprache, das Gesagte mit den Bekannten aus den Beiträgen zu verbinden.

Das kleine Cafe füllte sich schnell mit Menschen von denen ich annehmen konnte dass sie Blogger sind, wer soll auch sonst von der Veranstaltung wissen. Mein Blick streifte über die Gesichter und ich versuchte mir vorzustellen wer wohl wer ist. Die untergründigen gedanklichen Bilder hervorkramend suchte ich die passenden Sites zu den Menschen. Ein junges Pärchen setzte sich auf den gegenüberstehen kleinen Tisch, augenscheinlich verliebt. Er holte Zigaretten aus der Jackentasche, schüttelte eine Zigarette aus der Softverpackung und steckte sie in den Mund. Seine Freundin drehte sich um und zischte ihn an „Muss das jetzt sein?!“. Solidarisch gab ich ihm Feuer und reichte ihm den reihum gehenden Aschenbecher. Der Mann neben mir und die Dame daneben erklärten, das sie Blogs nur lesen aber selber keine schreiben würden, da und dort mal einen Kommentar. Die Zeit fehle dazu selbst schreiben, erklärten Beide. Ja! - denke ich, bloggen fressen Zeit und manchmal auch den Haushaltsfrieden. Bei der Menge Leute musste ich mir auch eingestehen dass ich nur wenige Sites wirklich kenne oder besser öfter mal gelesen habe. Das Vorhaben Menschen und Blogs zu verbinden gebe ich auf als die Musik beendet wird und die Lesung beginnt.

Frau Suna, Andrea Diener, Herr Bandini und Herr Kid lesen. Die Texte von Herrn kid konnte ich mir in etwa vorstellen, etwas dunkel und schwermütig, fast existenziell mit einer großen Portion Sahne in Form von Humor. Frau Suna hat mich überrascht, die Melodie der Sprache klang vertraut und heimatlich. Die Texte detailhaft beschreibend, beinahe anteilnahmslos erzählend und dennoch treffen sie den Kern der Erzählung über Stimmungen, über familiäre Arbeitsteilung und Beobachtungen von Menschen in der Straßenbahn. Frau Diener erzählt ohne Zynismus über einige Stunden an der Rennbahn mit Flugsimulator, behütete Frauen und deren männliche Stützer auf dem Gang vom Cabriolet zur VIP Tribüne. Herr Bandini liest persönliche Geschichten aus seiner Kinderzeit und der Pubertät, erklärt ein wenig schamhaft Erektionsprobleme und die dazu gehörende ärztliche Therapie.

Meine, durch das lesen der Blogs erhaltenen Eindrücke haben mich nicht enttäuscht und die Menschen passen ganz gut zu dem Geschriebenem auf ihren Sites. Nicht hellseherisch gemeint, eher dem Eindruck folgend. Ein Bier, ein wenig Tratsch über nichtanwesende Blogger und lächelnd gestellte Fragen über die letzten Posts, eine interessante Unterhaltung über kulturelles Verständnis innerhalb der gesamten deutschsprachigen Kultur, Zufriedenheit über den gelungenen und schönen Abend.

Foto zur Lesung gibt es auf der Site von Andrea Diener.

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Samstag, 11. März 2006
Vergangenheitsbewältigung?!
Auf der Suche nach Hintergründen, geographischen Eigenheiten und politischen Wetterlagen bzw. mentalitätstypischen Merkmalen zu einem Buch über eine Kindheit in Kärnten, einer Kindheit die sich sowohl abstammungsmäßig als auch kulturell von der Mehrheit unterschied, entdeckte ich damalig Trauriges und Entsetzliches. Wenn man allerdings Kärnten und seine politisch, psychotische Verbissenheit am Deutschnationalem kennt, überkommt einem die Freude zu sehen, wie von wenigen Mutigen des Villacher Judenpogroms von 1938 gedacht wurde.

Persönlich kenne ich die Auseinandersetzung der Kärntner, betreffend des Völkermordes und der Vertreibung von Nichtarisierbaren nur durch Schuldzuweisung an die Nazis, die mitten unter ihnen lebten und agierten. Von peinlich berührt bis aufbrausend verneinend und die Taten der deutschen Wehrmacht mit Ruhmesworten verkleidend, manövrierte man das Gespräch zu einem schnellen Ende mit den Worten „Wir hom nix gwust“. Natürlich war dieses Verhalten nicht spezifisch für Kärnten, im gesamten österreichischen Bundesgebiet kam es zur massiven und eifrigen Mitarbeit zum Bestehen und zur Ausbreitung des mörderischen Regimes. Es ist oder war auch ein Teil der österreichischen Identität von dem eigenen Tun abzulenken und in der Opferrolle die Anderen zu belasten.

Die evangelische Kirche in Villach hat zusammen mit Lehrern und Schülern des Peraugymnasiums am 11. November 2005 im Rahmen eines Veranstaltungsprogramms der Geschehnisse von 1938 gedacht.



Ausschnitte aus Zeitungen und Polizei- und Gendarmerieprotokollen von 1938 bis 1945.

Quelle kärnöl.at


Bericht im "Arbeiterwille" aus dem Jahre 1922 über das vom Alpenverein Villach erlassenene "Judenverbot":

Die Ortsgruppe Villach des Deutschösterreichischen Alpenvereins hat vor längerer Zeit das Schutzhaus am Dobratsch als Eigentum erworben. Seit einiger Zeit prangen auf diesem Schutzhaus die Worte: „Juden ist der Eintritt in dieses Haus verboten!“ Diese Aufschrift ist natürlich mit dem Zeichen des Hakenkreuzes versehen. Wie wir hören, wurde diese Aufschrift über Beschluss der Ortsgruppe Villach des Deutschösterreichischen Alpenvereines an dem Schutzhause angebracht. Außerdem soll die gleiche Ortsgruppe beschlossen haben, dass der Pachtvertrag, der mit dem Pächter des Schutzhauses abgeschlossen wurde, in dem Momente erlischt, wo der Pächter einem Juden den Eintritt in das Schutzhaus gestattet.

Aus dem Bezirk Villach: Berichte aus Gendarmerieprotokollen über das Novemberpogrom 1938:

Velden: Ein noch nie da gewesenes Ereignis trat am 10. 11 in den Abendstunden ein. In grenzenloser Erbitterung über den erfolgten Tod des Gesandschaftsrates von Rath, der durch jüdische Mörderhand in meuchlerischer Art herbeigeführt wurde, versammelten sich Teile der Bevölkerung des Ortes in spontaner Weise und fielen gruppenweise über jüdische Besitzungen her. Es erfolgte eine wüste Zerstörung der unbewohnten jüdischen Häuser Villa Arnstein, Giebelhaus, Seehof, Helene, Weisshut und Landhaus Freisler.

Obere Fellach: Der Papierfabrikant Josef Sternschuss “Jude“, Inhaber der Pappenfabrik Albeko in Obere Fellach wurde im Jahre 1938 durch das Stadtkommando Villach in Schutzhaft genommen und sein Eigentum arisiert. Die Fabrik wurde durch den Wiener Fabrikant August Ahlborn sodann käuflich erworben. Sternschuss befindet sich derzeit in Haifa in Egypten. Näheres über sein Schicksal ist unbekannt.

Heiligen-Gestade: Nach dem Umbruch am 13. 3. 1938 wurden von Nazis aus Villach sämtliche Einrichtungen des Juden Dr. Erich Loewe, in Berghof in Heiligen-Gestade am Gutsbesitz, zertrümmert und zerschlagen. Später wurde der Besitz arisiert und am 9. 2. 1940 von der Deutschen Arbeitsfront übernommen.

Stöckelweingarten: Die Einrichtungen des Juden Kaufmann Glesinger aus Villach, im Wochenendheim in Stöckelweingarten, wurden von jugendlichen Nazis aus Villach nach dem Umbruch zertrümmert. Das Heim wurde dann vom Glesinger verkauft. Die Pension des Juden Emil Rohland Richter in Stöckelweingarten wollte man nach dem Umbruch auch zertrümmern, wurde aber durch rasches Eingreifen durch hiesige Gendarmerie vereitelt. Pension wurde dann später von Richter verkauft.

Sattendorf: Das Wochenendheim des Juden Rogar in Sattendorf mit ca. 1000 Quadratmeter Grund wurde arisiert und später von Radischnig, Hauptamtsleiter der NSDAP erstanden. Letzterer befindet sich derzeit in amerikanischer Kriegsgefangenschaft. Gattin in Stöckelweingarten wohnhaft.

Velden: Am 10. 11. 1938 wurde wegen der Ermordung des deutschen Gesandten von Rath in Paris durch die SA Velden die Einrichtung der Judenhäuser Arnstein, Mayer, Löbenfeld-Russ, Kern, Weisshut und Edihaus in Velden demoliert und zum Grossteile vernichtet.

Bezirksgericht Villach: Anzeige von Leon Zwerling, eingebracht im Oktober 1945, wegen der Verwüstung seiner Wohnung anlässlich des Villacher Judenpogroms im November 1938.

Ich war bis April 1939 Eigentümer des Hauses Villach, Oberer Heidenweg Nr. 34. Da ich Volljude bin, wurde ich vom Finanzamt Villach veranlasst, das Haus zu verkaufen. Am 16. Nov. 1942 bin ich über Auftrag der Gestapo nach Wien übersiedelt, von wo ich am 11. Okt. 1945 wieder zurückgekehrt bin. Am 10. November 1938 um ca. 4 Uhr nachmittags erschien in meinem Haus Villach Oberer Heidenweg Nr. 34 der Malermeister Friedrich Meier M. und drei weitere mir bekannte Personen. Ich war damals gerade im Garten beschäftigt. Einer von den Personen sagte mir zuerst, der Sturmführer wolle mich sprechen. Der Malermeister Friedrich Meier, gab sich mir gegenüber als Sturmführer aus und forderte mich mit den Worten „Jude gib die Waffen heraus“ auf zur Waffenabgabe. Ich erwiderte, dass ich keine Waffen habe und dass sie beruhigt meine Wohnung nach solchen durchsuchen können. Es begaben sich dann alle Vorgenannten in meine Wohnung im ersten Stock. Auf die neuerliche Aufforderung zur Herausgabe von Waffen, beteuerte ich keine zu besitzen, worauf Friedrich Meier das Kommando los gab. Alle 4 Personen, die gegen meinen Willen in meine Wohnung eingedrungen waren, machten sich dann daran, meine Wohnungseinrichtung zu zerstören. Es dauerte kaum eine halbe Stunde und fast meine gesamte Wohnungseinrichtung von 2 Zimmern, 1 Küche, 1 Speis und eines Badezimmers waren demoliert. Die genannten haben nicht nur Einrichtungsgegenstände, sondern auch Geschirr, Lebensmittel und dergleichen vernichtet. Ich schätze den mir daraus erwachsenen Schaden auf mindestens 6 bis 8 000 Schilling. Nach diesem Zerstörungswerk sind sie wieder fort und haben hinter sich die Wohnungstür abgesperrt und den Schlüssel von außen stecken lassen, sodass ich mit meiner Frau genötigt war, die Wohnung durch herablassen der Küchenbalken zu verlassen. Meine Frau und ich wurden bei diesem Anlass mit den Worten Saujud, Judenweibl und ä. beschimpft. Wir haben uns über diese mutwillige Zerstörung unseres Eigentums sehr aufgeregt. Meine Frau ist 66 Jahre alt und ich bin schon 75 Jahre. Ich bin in der Lage mehrere Zeugen über diesen Vorfall anzuführen. In der Folge musste ich mit meiner Frau, da wir gar keine Betten hatten, mehrere Tage auf den Boden liegen. Später erhielten wir von Verwandten Betten und Geschirr. Wir besaßen mehrere Service, die ebenso zerschlagen wurden. Außerdem wurden u. a. 53 Gläser mit Eingekochten vernichtet.

Eine anonyme Zeitzeugin kann sich an die „Kristallnacht“ in Villach noch erinnern:

Ich war damals 11 Jahre alt und bin die Hauptschule gegangen. Wir hatten Nachmittag-Unterricht, der um 13 Uhr begann. Nach der Schule bin ich bis nach Oberwollanig zu Fuß nach Hause gegangen. Im Herbst und im Winter war schon finster, wenn ich heim gekommen bin. An jenem Tag – nach der Schule – sind in der Italienerstraße – Ecke Technischer Hof, beim Fischbachgeschäft – sehr viele Leute herumgestanden. Ich bin näher hingegangen und dort war ein riesiger Haufen mit verschiedenen Sachen – Geschirr, aufgeschlitzte Mehlsäcke, zertrümmerte Möbel- auf dem Gehsteig. Rundherum lagen viele Postkarten verstreut. Eine davon hab ich aufgehoben. Ich konnte das Wort Gallizien lesen. Ein Wort, daß ich nie mehr vergessen habe. . Aus dem offenen Fenster im ersten Stock hat Frau Fischbach herausgeschaut. Sie war in Trauer, weil kurz vorher jemand gestorben ist. Ich habe sie gekannt, weil meine Mutter dort öfter eingekauft hat. Sie hat die Hände über den Kopf zusammengeschlagen und geschrien : „Mein Gott, mein Gott , so hört doch endlich auf.“ Zwei Männer haben sie an der Schulter gepackt und zurückgerissen. Ich war erschrocken und habe Angst gehabt. Ich habe das alles nicht verstanden.- Ich wußte nicht was Juden sind. Mein Empfinden war: „Erwachsene sind gewalttätig.“. Als ich endlich daheim war, war es schon ziemlich finster. Ich habe alles meiner Mutter erzählt. Ich wollte, daß sie mir das alles erklärt. Meine Mutter sagte nur: “Mein Gott, was die da treiben, auch für die wird noch die Stunde kommen.“ Später, als ich schon in die LBA (Lehrerbildungsanstalt) gegangen bin, habe ich in Villach öfter einen Mann mit einer gelben Armbinde und einem schwarzen Judenstern gesehen. Er hat immer auf den Boden geschaut. Nach dem Krieg bin ich draufgekommen, daß das der Herr Zwerling vom Oberen Heidenweg gewesen ist. Der Zwerling hat diese Zeit überlebt.

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Donnerstag, 12. Januar 2006
Ein Mensch wie Du und ich – ein Plädoyer gegen die Stigmatisierung psychisch kranker Menschen
Hier nun ein Novum bei Moment________________________ - ein eigens für diesen Blog verfasster Beitrag einer Gastautorin (ihres Zeichens angehende Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie), die dem Verantwortlichen dieser Seiten (@nicodemus) namentlich bekannt, bestens vertraut und gewogen ist. Ein Folgebeitrag zu dem vorangegangenen Post Psychische Leiden der Europäer.

„Sie sehen doch ganz nett aus – und Sie sind Psychiaterin?“

So verschieden menschliche Begegnungen auch sein mögen – sie folgen oft einem festen Ritus. Nach der namentlichen Vorstellung und einer kurzen Erläuterung, warum man ausgerechnet heute hier (in diesem Zug, auf dieser Party, bei diesem langweiligen Stehempfang) ist, folgt meistens (und noch vor dem Gespräch über das Wetter) die Frage: „und, was machst du/machen sie denn beruflich?“. Seit meine Antwort nicht mehr „Studentin“ sondern „Ärztin“ lautet, beginnen viele mir bis dahin völlig unbekannte Menschen, ungefragt Körperteile zu entblößen – ich könne doch sicher mal eben sagen, was mit dem Ellenbogen oder dem Schienbein los sei. Viele fragen aber vorher noch, welche Fachrichtung denn die meine sei – wahrscheinlich um eine gezieltere Auswahl der zu präsentierenden Körperteile und ihrer Veränderungen vornehmen zu können. Seit meine Antwort „ich arbeite in der Psychiatrie“ lautet, bleibt die Kleidung meiner Gesprächspartner, wo sie hingehört – und ich blicke in erstaunt-erschreckte Gesichter. Die regelhaft entstehende kurze Gesprächspause nutze ich, um mit mir eine Wette abzuschließen – welche der (scheinbar einzigen) beiden möglichen Erwiderungen wird mein Gegenüber wählen? Schon an der Körperhaltung sehe ich, für welche er sich entschieden hat: ein Schritt zurück, verlegen-unsicheres Lächeln, ein schneller Blick in die Runde – und dann Variante 1: „huch, hoffentlich habe ich da nicht schon zu viel gesagt! Sie als Psychiaterin durchschauen einen ja sofort – und einen kleinen Schuss hat ja wohl jeder!?“. Variante 2 wird eingeleitet durch eine verständnisvoll-betroffene Mimik, einen kleinen Schritt auf mich zu, manchmal wird auch noch die Hand auf meinen Arm gelegt: „ Ach, da haben sie aber einen schweren Beruf. Das könnte ich ja nicht machen! Wie sie das schaffen, all diese armen Menschen -und so hoffnungslos… Haben sie da nicht Angst, dass etwas abfärbt von der Verrücktheit auf sie?“.

Sicherlich ist das an sich nichts Besonderes – auch Müllmänner, Pilotinnen oder Quantenphysiker werden wahrscheinlich mit immer den gleichen Stereotypen konfrontiert, wenn sie ihren Beruf nennen. Aber die beiden beschriebenen Varianten sagen ja nicht vor allem etwas über meinen Beruf aus – sondern über die Bilder, die von den Menschen existieren, die von einer Psychiaterin behandelt werden. Und mit diesen Bildern werden meine Patientinnen und Patienten konfrontiert – in ihrer Familie, in ihrem Dorf, an ihrem Arbeitsplatz, in ihrem Freundeskreis.
Diese Bilder von Menschen, die Erfahrung mit PsychiaterInnen und der Psychiatrie haben, sind Vorurteile, die aus einem Ehemann, einer Tochter, einem Freund, einer Kollegin, einem Nachbarn, einer Lehrerin etwas Neues, Anderes, Fremdes, Beängstigendes, Gefährliches machen – nämlich eine „psychisch Kranke“, einen „psychisch Kranken“. Bei dem man nicht mehr so genau weiß, wie mit ihm zu reden ist – über den man aber spricht (zumindest hinter vorgehaltener Hand). Bei der nicht mehr klar ist, wie man sie behandeln soll – wo sie doch in ‚psychiatrischer Behandlung’ ist. Der beobachtet wird – sieht er nicht plötzlich auch ‚ganz komisch’ aus? Und weil fast niemand weiß, was eigentlich los ist, haben es alle schon immer gewusst. Und weil Nicht-Wissen Angst macht, hält man lieber mal „ein bisschen Abstand“ – „man weiß ja nie“.

Und so folgt der Diagnose einer psychischen Erkrankung und ihrer psychiatrischen Behandlung oft die viel fatalere ‚Etikettierung’ eines Menschen als „psychisch krank“ – er wird exkommuniziert aus bisherigen Zusammenhängen, indem man sich von ihm zurückzieht und ihn stigmatisiert als einen, der jetzt und für alle Zeit „anders“ ist. Und es entsteht aus der diffusen Idee, ‚anders’ könnte ‚irgendwie gefährlich’ sein sehr schnell die Idee, diese ‚armen Menschen’ sollten ‚weggeschlossen’ werden – um sich selbst und anderen nicht zu schaden.
Es gibt in der Tat Menschen, die aufgrund ihrer psychischen Erkrankung phasenweise vor Schaden bewahrt werden müssen – weil ihr Kontakt zur ‚Realität’ brüchig geworden ist, und sie beispielsweise glauben, sie könnten fliegen, wenn sie vom Balkon im 7. Stock springen. Oder weil sie in ihrem Kopf eine Stimme hören, die sie dem ‚Satan’ zuschreiben und die sie auffordert, sich zu töten, um die Welt zu retten. Oder die aufgrund einer fortgeschrittenen Demenz im Nachthemd bei Minusgraden durch die Gegend irren, um ihre seit 30 Jahren verstorbene Mutter zu suchen.
Und sicherlich gibt es Menschen, die aufgrund ihrer psychischen Erkrankung phasenweise davor bewahrt werden müssen, anderen Schaden zuzufügen – weil sie glauben, sie müssten im Auftrag der CIA ab heute den Linksverkehr auf der Straße einführen. Oder die sicher sind, der Nachbar leite Giftgas in die Wohnung und müsse dafür bestraft werden.

Diese Menschen kommen (neben vielen anderen) in psychiatrische Kliniken. Die in der Regel nicht mehr von hohen Mauern umgeben und deren Fenster nicht vergittert sind. Wo es weder Zwangsjacken noch Gummizellen gibt. Wo es nicht um das ‚wegsperren’, sondern die Behandlung der Erkrankung geht, die Schaden anrichtet. Glücklicherweise haben wir heute für die meisten psychischen Erkrankungen Medikamente, deren positive Wirkungen die unerwünschten Nebenwirkungen bei weitem übersteigen. Die Fernsehbilder von dumpf herumsitzenden, sabbernden Zombies haben mit der Realität psychiatrischer Behandlung heute so wenig zu tun wie George Bushs Angriffe auf den Irak mit einem ‚gerechten Krieg’. Psychische Erkrankungen sind in der Regel gut behandelbar – wenn auch in vielen Fällen ebenso wenig ‚heilbar’ wie eine Vielzahl von Erkrankungen (Ärzte können weder einen zu hohen Blutdruck noch eine Zuckerkrankheit ‚heilen’ – nur die Symptome können behandelt, im besten Fall zum Verschwinden gebracht werden). Viele psychische Erkrankungen verlaufen phasenhaft – und so wie ein Mensch mit Heuschnupfen die meiste Zeit seines Lebens symptomfrei und subjektiv ‚gesund’ ist, gilt das auch für die meisten Menschen mit psychischen Erkrankungen.

Einem Menschen den Stempel der Stigmatisierung aufzudrücken, weil er eine psychische Erkrankung hat, in psychiatrischer Behandlung war oder ist, steht in der Tradition der Ausgrenzung und Abschiebung, deren Folgen tausende Patientinnen und Patienten (nicht nur) psychiatrischer Kliniken im Rahmen des „Euthanasie-Programmes“ mit dem Leben bezahlt haben. Unsere Patientinnen und Patienten stehen in unserer auf ‚Leistungsfähigkeit’ und ‚Produktivität’ orientierten Gesellschaft oft am Rand – weil sie eben nicht immer ‚funktionieren’, am Mainstream vorbei eigene Wege gehen und ihre Umgebung durch ihr manchmal Anders-Sein verschrecken, irritieren und zur Abgrenzung herausfordern.

Ich bin mir absolut sicher, dass nichts mich davor schützt, morgen oder übermorgen oder in einigen Jahren selbst psychiatrische Hilfe in Anspruch nehmen zu müssen. Niemand ist davor gefeit, eine Depression, eine Psychose oder eine Demenz zu entwickeln – niemand. Keine genetische Disposition, keine Abstinenz von Alkohol oder Drogen, kein gesunder Lebenswandel bieten einen ‚sicheren Schutz’ davor.

Ich wünsche mir eine Gesellschaft, in der ich auf meine Aussage „ich bin Psychiaterin“ nicht mitleidig belächelt oder ehrfürchtig-erschrocken angeschaut werde – denn ich habe einen tollen Beruf, der mich erfüllt. Viel mehr aber wünsche ich mir eine Gesellschaft, in der ein Mensch mit einer psychischen Erkrankung als das gesehen wird, was er ist: als Mensch wie ich, wie du, wie wir.

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Dienstag, 20. September 2005
aus der Alltäglichkeit
...ein Auftrag geht (ist) zu Ende und der nächste steht in 10 Tagen an.

Der erhoffte Unterschied zwischen den Arbeiten wird leider wieder nicht eintreten. Voller Hoffnung rechnet man Umsätze, Kosten, Ausgaben, Einnahmen, erstellt Listen und Tabellen im Excel und zögert das Ergebnis hinaus. Stundenlang werden alle Zahlen nochmals kontrolliert, man ist froh einen Centfehler gefunden zu haben und im nächsten Augeblick wird klar das dieser Fehler hinter dem Komma keine wesentliche Wirkung zeigt. Das Ergebnis wird präsentiert und die Schlussfolgerung wird in einem kurzen Satz formuliert. Sie sind am Ende der Möglichkeiten angelangt. Es ist nur eine Feststellung. Wörter die einen Traum, ein Lebens- oder sogar Generationenwerk zerstören.

Vor zwei Jahren hat man noch genauer hingesehnen warum so was passieren kann und irgendwie hat sich immer ein "Schuldiger" herausgestellt, meistens nur für eine Erklärung. Klar gab es welche die alles Erwirtschaftete beiseite geschafft haben und bewusst in die Richtung des Auflösens gegangen sind. Heute ist es einfacher, man weiß was einem erwartet setzt den rechnerischen Hebel gleich an die richtige Stelle, kontrolliert kaum mehr eine Kosteneffizienz. Wozu auch, der effiziente Preis ist nicht zu erzielen und der reduzierte deckt die Kosten nicht, teils nicht mal mehr die Miete und den Energieversorger. Die Gehälter für die aufs äusserste reduzierten Mitarbeiter der letzten Monate wurden auf Pump bezahlt in der Hoffung das der eine oder andere Kunde doch wieder ordert oder wenigstens seine Rechnung zahlt. Hier sind nicht irgendwelche GmbH´s oder AG´s oder ähnliches gemeint es sind Personengesellschaften wie der Metzger, der Schreiner, die Boutiqueninhaberin, der Händler oder Klempner und Karosseriewerkstatt. Menschen die über Jahre und Jahrzehnte wöchentlich um die 70 - 80 Stunden damit zugebracht haben zu arbeiten, organisierten, zittern und sich zu freuen. Als die Zeiten schlechter wurden erzählte mir einer, habe ich mich eingeschränkt, eine Woche Urlaub für die Frau und die Kinder in der Türkei „war weiter weg und nicht teuer…“, Später wurde das Haus am Stadtrand - seines Vaters Traum verkauft und die Reserven ins Unternehmen gesteckt. Danach halfen noch Verwandte bis auch Ihnen die Luft ausging. Einzelfälle? Nein, leider nicht.

Nach stundenlangen Gesprächen und teils auch Tränen, Behauptungen das alles nicht so schlimm sein könne, hinterlässt man Menschen die morgen keinen Job mehr haben werden, Menschen die alles in das Unternehmen gesteckt haben und schlechter dran sind als jeder Arbeitslosen II Bezieher, Menschen die in ein zwei Wochen ihren Offenbarungseid schwören werden, ist der Gang durch die Stadt mit den Banktürmen wie ein Schreiten zwischen den unbeweglichen Siegern einer neu mutierten Kriegergeneration. Viele Geschäftsräume stehen leer und sind nicht anderes als dunkle Löcher, als ob sie die Zwischenräume der mächtigen Kathedralen bilden müssten.

Wie sagte ein Kollege „Du bist kein Seelsorger…vergies es und achte darauf deine Rechnung rechtzeitig zu kassieren“

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