Samstag, 13. Mai 2006
Frühlingskonzert
Zu den elterlichen Pflichten gehören nun mal auch Schulkonzerte, egal ob Frühlingserwachen, sommerliche Schwüle, weihnachtliches Gloria oder Schuljahresbeginn bzw. dessen Ende das Thema sind. Meist bekommt man dann zwei bis drei Tage vor der Veranstaltung einen Schnipsel Papier mit dem Stempel der Schule und einem Datum, vom Kind in die Hand gedrückt mit den Worten: „Du kommst doch und bitte vergiss nicht die Karte…und komm nicht zu spät. Wir treten als Zweite auf!“. Die Termine stehen schon seit langem fest und ich muss zugeben dass, das Erinnern schulischer Termine nur die Elternabende, Elternstammtische, Elternsprechtage und Schulausflüge beinhaltet. Hätte man, angenommen ein Kind das keine musikalische Ambitionen pflegt, würde es einem nicht in den Sinn kommen da hin zugehen. So ist es nicht! Das Kind singt im Unterstufenchor, ahmt Arien nach und kratzt am Cello, nicht täglich aber die zweimal pro Woche reichen um nachdenklich zu werden. Die Cellolehrerin behauptet jedes Mal was für tolle Fortschritte das Kind im Unterricht macht. Entweder sind Celloschüler eine rare Gattung oder mein musikalisches Gehör ist wenig bis gar nicht entwickelt, ich höre keine Fortschritte, so sehr ich mich auch bemühe, die gestrichen entlockten Töne verwandeln sich in keine Melodie. Heimlich, wenn das Kind morgens zur Schule gegangen ist, schäle ich das Instrument aus der Tasche, entblöße den Bogen aus dem Tuch und streiche sanft die Saiten. Freude steigt aus dem Bauch hoch über das Brustbein bis zu den Haarspitzen, Freude über die entstandenen Töne auch ohne Melodie. Eine Sehnsucht aus Kindertagen.

Aber von mir hat das Kind ja auch nicht die musische Begabung. Meine Karriere als Sänger und Musiker endete bereits in der ersten Klasse der Grundschule oder Volksschule wie es hieß. Beim Lied „..im Frühtau zu Berge…wir gehen walleraaaa…“ – Ja, ich bin in den Bergen des Südens aufgewachsen – versuchte die nette Lehrerin die tiefe brummende Stimme aus dem engelsgleichen Kinderchor mit vorne stehenden blondlockigen Mädchen, herauszufiltern. Nachdem sie meinen melodiösen Vortrag gehört hat war der Ungeist gefunden und ich wurde der küssenden Muse entrissen. Ab nun hatte ich während des Klassensingens die Aufgabe, ihr die Notenblätter hoch und den Mund zu halten. Andererseits war es für mich nicht wirklich eine Niederlage. Die Verantwortlichkeit für die Noten war etwas Besonderes und ich war dieser, so gut riechenden Lehrerin immer etwas näher als meine singenden Mitschüler. Es wohliger Schauer streifte meinen Körper wenn sie beim Vorsingen die Zähne entblößte, die Lippen spitzte und durch die Bluse ihr BH weiß, makellos schimmerte. Ähnlich erging es mir beinahe in bildnerischer Erziehung. Keine der von mir abgelieferten Zeichnungen wurden von ihr als die Meinen anerkannt, doch da hatte ich Rückendeckung von dem Mitschülern und somit erhielt ich bei ihr immer eine Note zwischen brauchbar und befriedigend. Den Lehrern ein Schnippchen schlagen war lange mein erklärtes Ziel und von Jahr zu Jahr wurden meine Interpretationen von gestellten zeichnerischen oder malerischen Aufgaben absurder. Die beste Note, die für meine Werke vergeben wurde war immer die zweitschlechteste. Prinzipiell wurde meine Arbeit als letzte gereicht und auch der Klasse als nicht wert „Kunst“ genant zu werden, vorgeführt. Bei einer Nachfrage an den Kunstbeurteilenden was er wohl Picasso für Noten gegeben hätte, erhielten meine Eltern einen Brief „…meine Kritik stellt den Kunstunterricht in Frage und wirke sich störend und negativ auf das Verhalten der Schüler aus“. Der Versuchung widerstehe ich jetzt nicht zu sagen „…es waren andere Zeiten“, war ja auch so. Wie etwas zu sein hat oder ist war geregelt und unumstößlich, unten im tiefen Süden. Jahre später hatte ich dennoch obsiegt. Der Briefschreibende Kunstbeurteiler sandte mir eine kümmerliche Postkarte mit Glückwünschen zur Ausstellung in Mailand und Los Angeles. Zu spät! Brotlos ist Kunst erkannte ich schmerzhaft.

Die Aula der Schule ist bis auf den letzten Platz gefüllt und ich zwänge mich an der Wand entlang zur Mitte um zu sehen und natürlich auch gesehen zu werden, vom Kind wenn es mit dem Unterstufenchor auftritt. Die Direktorin drängt durch die erwatungsvollen Eltern und Ahnverwandten der Künstler. „Sie sind doch Herr L.“ stellt sie plötzlich vor mir stehend fest. „Ach, entschuldigen sie Herr S. das ich sie verwechselt habe“ erklärt sie, vermutlich nach dem sie meinen skeptischen Ausdruck gemustert hat. „Nein, Frau K. es tut mir leid aber weder bin ich L. noch S.“ Etwas verwirrt entkommt ihr ein beinah verärgertes „Wer sind sie dann, ich kenne sie doch!“. Ja, wir kennen uns, mein Name ist E.“ sagte ich etwas süffisant und die Situation genießend. „Ihre Tochter ist doch Luisa, ach nein, na – Katharina?“ klang sie jetzt freudig. „Meine Tochter heißt V.“ gab ich in großzügiger Sprachmelodie zurück. Etwas gekränkt verabschiedete sie sich mit einer Entschuldigung und dankte mir für die großzügige Spende, die der der Schule zugekommen ist. Welche Spende? Ich habe im letzten Herbst zwar etwas Geld der Schule überwiesen, aber durchaus nicht eines öffentlichen Dankes wert. Die Augen der Umstehenden ruhten lächelnd und mit einem Hauch von Neid auf mir. Das aufsteigende Wohlgefühl suchte sich schuldig fühlend nach einer wirklichen Wohltat. Genieße es, dachte ich mir, das war der Dank für all die Spenden und Mitarbeit der letzten Jahre, angefangen im Kindergarten.

Im Gewirr der Stimmen und den spannungsgeladenen Tönen der einstimmenden Instrumente drückte sich die Direktorin zum Rednerpult, ans Mikrophon. Nach salbenden Worten zur Einführung dieses Frühlingskonzerts verneigte sich der Leiter des Orchesters vor dem spannungsgeladenen Publikum, drehte sich um und hob die Hand mit dem Taktstock. Stille. Auf Rührung wartende Elternaugen. Die ersten Töne setzen ein, Geigen, Trompeten, Querflöten, eine Pauke und leise, so nebenbei ein Klavier. „Titelmelodie Starwars“ steht auf den Programmblatt. Starwars, das ist für mich ein Inselutensil, die Melodie habe ich mir verinnerlicht und ohne Titelmelodie, ohne diese Einstimmung verliert Joda seine Macht der hellen Seite und die Prinzessin ihren kindlichen Liebreiz. Der Raum seine Unendlichkeit. Nichts davon erkenne ich aus dem Wirken des Zusammenspiels der Instrumente. Die Trompete schlägt die Streicher erbarmungslos ins Gewinsel, der Pauker schießt unverhofft Salven in die eigenen Reihen, zwischenrufend quäkt die Oboe, einem sich nicht öffnenden Lichtschwert gleich pfeifen die Querflöten durch das Schiff. Ein wahrer Kampf der Welten, nicht hörbar die Guten und nicht die dunkle Seite. Doch plötzlich verendet das Tongewirr und leise steigt, wie eine akustische Lichtgestalt die Melodie einer Geige hoch. Ein beachtliches Solo, zart, fein und genau. Eine zweite Geige erklingt zur Erhabenheit, unterstützt das Schweben der Töne bis wieder der General mit dem Taktstock die Kämpfer der Akustik in den Krieg befiehlt. Überraschter, verhaltener Applaus setzt ein. Irgendwie sind alle betroffen, Nicht erklärbar ob vom der erlebten Kampfhandlung oder überhöhter Erwartungen. Das zweite Stück des Orchesters zwingt meine Gedanken zu Umberto Eco´s foucoischen Pendel, in den Untergrund von Paris, zum schaurigen Schlendern durch Notre Dame, zu den Ritten der Templer und ihren unergründlichen Geheimnissen. „Das Phantom der Oper“, dieser Vortrag des Musikstücks lässt die dunklen Weiten einer versteckten Unterwelt der Pariser Oper erahnen. Kurze Pause! Das Orchester erhebt und verneigt sich – geht ab.

Rund hundert Kinder gehen eingeübt bedächtig auf die Bühne und stellen sich in drei hintereinander folgenden Reihen auf. Einer, dieser hysterischen Übermütter gleich bin ich versucht die Hand zum Winken zu erheben als das Kind die Bühne betritt. Die Linke hält die Rechte fest und der Blick auf das geliebte Kind gerichtet bis es mich bemerkt und nickt. Wie unterschiedlich groß die Elfjährigen sind geht es mir durch den Kopf und anders als erwartet überragt ein Teil der Mädels um einen Kopf die Größten der Jungs. Einer, der Laserstrahl abschießenden Trompeter (ein Lehrer) stellt sich vor dem Chor auf und fuchtelt das Zeichen des Beginns. „… ist… das...des Bassa Selim…Haus, - …ist…das...“ fragend nicht nur die Worte auch der Blick der Kinder. Nach einigen Takten versuchte eine kleine Gruppe die Arie aus der Oper „Entführung aus dem Serai“ etwas zu beschleunigen, durch das massive Eingreifen der Mitstreiter misslang dies Vorhaben und der gequälte Verlobte muss sich im vorgegebenen Andante quasi Piano gedulden. Mit einem Akzent mehr Schwung und Betonung, und der Vortrag ist hervorragend. Gut, ich gebe zu mit meiner Kritik im milden Bereich zu bleiben, zumal das Kind den Aufwand der Proben erklärt hat und die Tatsche des es zu keinem stimmlichen Kampf zwischen dem Suchenden und dem Haremsvorstand kam. Applaus, diesmal mit glücklichem Strahlen und so manches Auge feuchtete über das notwendige Mass. Wie gut, denke ich leise das die Talente (wenn teils auch vermeintlichen) der Kinder heute gefördert werden und am effizientesten gelingt das auch spielerisch und lobend. Das Ohr, die Augen und die Sinne zu schulen für Kultur und Kulturverständnis kann nur durch frühe Beteiligung wirklich verinnerlicht werden. Wer die eigene Geschichte begreift ist auch offen für weitere Einflüsse und interessiert gegenüber dem Anderen, dem Vielfältigen.

Mit einer guten Portion Stolz die Brust und das Glas in der Hand mit Sekt gefüllt, trete ich auf den Schulhof, genieße den milden Abend. Nur das mit dem Cello – das muss besser werden, liebe Tochter!

... link (5 Kommentare)   ... comment


Mittwoch, 26. April 2006
Luminale 06
Raum mit Licht gestalten – Lichtgestalten!

Licht wie ein Wasserfall, stark, faszinierend ohne einen Laut.
Licht begrenzend, den Blick auf sich ziehend, die Nacht ausgrenzend.
Licht in den Bäumen, strahlend goldene Äpfel im Magnolienbaum.
Licht auf bewegten Schwingen einer Möwe, die zarten Federn durchbrechend.
Licht, leuchtendes Feuer weithin, wärmend und doch ohne Seele.
Licht als neues Kleid für grauen Beton, wie alles in Stille hüllender Schnee.









„Stadtfeuer“ mit Designer Ingo Wendt.







147.000 Watt auf einen Punkt gerichtet. Im gleißenden Mittelpunkt spürt man nicht nur die Kraft des Lichts, man riecht sie auch. Hier ist es auch nicht still. 57 Transformatoren summen für 57 Leuchten die Spannung von 220 Volt hoch.











Luminale 2006 vom 22 04.06 bis 27.04.06
Veranstaltungsorte: Frankfurt, Wiesbaden, Mainz, Darmstadt.

Weitere, aktuelle Bilder unter http://light-building.messefrankfurt.com/frankfurt/de/fakten_bilder-detail.html?guid=mf_ddsp147_8178

... link (1 Kommentar)   ... comment


Mittwoch, 19. April 2006
Aussterben!
Ah, Deutschland!
Die Lenden deiner Söhne, kraftstrotzend verweigern sie sich
Die Schöße deiner Töchter, fruchtbar und verhalten….



Die Diskussion über das nahe gerückte Aussterben der Deutschen, dieser verspätete Abgesang von Familien und familiären Bünden, erfasst mich teils mit Freude und teils mit Melancholie. Politiker und vor allem -Innen, ebenso wie geistreiche Gesellschaftsforscher, Psychologen, Anthropologen, Biosoziologen und jeder der sich berufen fühlt, geben erschrocken und aus dem Ärmel schüttelnd Statements ab. Erklären zum zigsten Mal das der Deutschen zu wenige sind und in Zukunft noch weniger werden, bis hin zum letzten rheinischen Mohikaner. Schnell werden noch Schuldige gesucht, die dort gefunden werden wo man sie immer findet, bei den Anderen. Bei der anderen Partei, beim anderen Geschlecht.

Genau das ist der Punkt: die Männer! Weil die Männer seit der geschlechtlichen Revolution keine sexuelle Macht mehr ausüben dürfen und können, gründen sie keine Familien mehr, vor allem keine mit Kindern. Als realerotisch traumatisiert, ihrer Erektion durch die Gleichstellung der Frau beraubt, zurückgezogen in die virtuell heile Welt der unterwürfigen und gefügigen Frauen, werden sie beschrieben und besprochen. Manchmal schleicht das Gefühl hoch das früher, vor der Pille, vor Alice Schwarzer, vor der weiblichen Emanzipation vom Mann und Gebären Kinder gewaltsam gezeugt, Frauen nach Comicmanier an den Harren in die Wohnung (Höhle) geschleppt wurden und gegen ihren Willen begattet, schwanger wurden und gebären mussten. Nach der erlittenen „Schändung“ haben sie das Frühstück zubereitet, haben das Bier für ihren Schänder nebst einem Stück rohen Fleisch eingekauft, den Haushalt gefeudelt und die Söhne und Töchter zu aufrechneten deutschen Bürgern erzogen. Darauf geachtet dass alle eine gute Schulbildung bekamen, die Universität besuchten oder einen Beruf erlernten, damit sie eines Tages selbst entscheiden können Familien zu gründen oder lieber das großartige Leben zu genießen. Die Väter waren nach dem, das Weibliche diskriminierenden Akt der Zeugung nur noch Ernährer oder diejenigen die Grundlagen für eine (bessere) Zukunft beschafften. Anstelle einer Anerkennung für ihr Opfer und die Fürsorge für die Familie wurden sie gesellschaftlich als patriarchalische Schlagstockfaschisten, als Pantoffelhelden ihres spießigen Ideales von Familie, als potentielle Vergewaltiger und Kinderschänder geächtet.

Heute kaufen zeugungsfähige Männer Roadsters von BMW und Mercedes oder den Chayenne von Porsche, vorwiegend in Schwarz. Schwarz ist Ehrfurcht, gute Stellung, zeigt Potenz und Schwarz ist cool. Diese Helden der Aktiengesellschaften, der nach oben schwankenden Börsenkurse und stolperfrei glatten Versicherungen leben in serieller Polygamie und jetten mit ihren jeweiligen ebenso gut ausgebildeten und erfolgreichen Gespielinnen nach New York oder London, Barcelona oder Mailand mal übers Wochenende zum Relaxen und einkaufen. Investieren das verbleibende Gehalt in Fonds und Optionsscheine, beteiligen sich an Immobilien. Leisten sich Loftwohnungen mit Gaggenau Küchen, spät abends lesen sie auf ihrem B+B Sofa das Handelsblatt oder Harvard Business und hängen Flachbildschirme von B&O neben die Cassina Wohnwand mit integrierter Dolby Surround Anlage und über allem hängt der kitschig romantische Lüster von Lampert. In den wenigen Augenblicken zwischen dem satten Plong der Mikrowellenofentür und dem piepsen des Mikrowellenofens, das verkündet das die Tortellini speciale heiß sind, in dieser Minute denken sie kurz über die innere Leere und das Gefühl von „Istdasalles“ nach. Wenn der Bildschirm zu leben beginnt haben sie es schon wieder verdrängt, diese leise Sinnsuche, verschoben nach später, nach irgendwann.

Es gibt auch noch die Andern, die mit dem Spießerideal von Ehefrau und Kindern. Verbliebene, unverbesserliche Idealisten. Sie folgen nicht mehr nur den Spuren ihrer Väter. Die meisten leben ein neues Bild von Vaterschaft. Kümmern sich um die Kinder, entlasten die Frauen bei der Erziehung und Hausarbeit und manche verzichten auf Karriere und Ansehen im Beruf. Ihre Ehefrauen haben die besseren beruflichen Chancen und verdienen mehr. Diese Männer kaufen Windel statt Computerspiele, sind geübt im Trösten und Fiebermessen, beim Verabreichen von bitterer Medizin. Gestalten die Beziehungen zum Kindergarten, zur Schule mit. Bringen sich ein mit Verantwortung und manchmal mit einem Eimer Farbe wenn das Klassenzimmer neu gestrichen werden muss. Horte, Schulen und Kindergärten leiden chronisch an fehlenden Mitteln zur Sanierung. Väter der neuen Generation sind nicht mehr nur Beibringer von Ressourcen, sie leben ebenso die Mehrfachbelastung die eine Familie mit sich bringt. Wenn Ehen scheitern so übernehmen sie als Teilzeit- oder Alleinerziehende die Verantwortung, teilen ihr Leben ein, zwischen Beruf und Kind(ern), zwischen Tagungen und Meetings, Abendessen und durchwachten Nächten am Bett der kranken Kleinen. Auch sie haben manchmal Sehnsüchte die nichts mit ihrem wahren Leben zu tun haben, auch sie denken an zwei Wochen Urlaub ohne Verantwortung und knapper Kasse. Manchmal denken sie auch ans Alter, wenn es nicht gereicht hat für eine private Rentenversicherung oder daran was die Ausbildung der Kinder noch Kosten wird und daran wie sicher ihr Job ist. Emotional und örtlich gebunden sind keine guten Voraussetzungen für einen neuen Job. Gesellschaftlich belächelt schieben sie mutig den Kinderwagen, hören von Freunden das sie gerne zur Feier oder Party kommen können, aber bitte ohne Kind. Sie sind das schlechte Gewissen, die Spielverderber einer modernen Gesellschaft.

... link (11 Kommentare)   ... comment


Sonntag, 12. März 2006
Blogger Lesung in Frankfurt
Irgendwie war ich neugierig, auf die Blogger Lesung im Cafe International in Frankfurt, gestern Abend. Im Ranking der Neugierde stand an erster Stelle die Menschen hinter den Blogs mal in Natura zu sehen und nach Möglichkeit Da und Dort, mit Diesem oder Jenem einige Sätze zu wechseln, ganz einfach unterhalten. Beim Lesen und Kommentieren der Beiträge auf den unterschiedlichen Sites versuche ich mir den Menschen dahinter vorzustellen, hinter den Sätzen und zwischen den Zeilen. Nicht das ich anfange genaue Bilder von Größe, Statur oder Alter in meinen Gedanken zu malen, obwohl ich zugeben muss, das solche schattenhaften Umrisse sich immer nach vorne, in die bewussten Gedanken drängen. Im Blog geschriebne Wörter und Sätze sind ausgesucht, revidiert, mehr oder weniger passend zusammengestellt und einen falschen oder peinlichen Satz kann man immer noch löschen, vor oder nach der Freigabe im Netz. Interessant ist, den Menschen direkt im Gesamteindruck zu begegnen, seinen Ausdruck, die Körpersprache, das Gesagte mit den Bekannten aus den Beiträgen zu verbinden.

Das kleine Cafe füllte sich schnell mit Menschen von denen ich annehmen konnte dass sie Blogger sind, wer soll auch sonst von der Veranstaltung wissen. Mein Blick streifte über die Gesichter und ich versuchte mir vorzustellen wer wohl wer ist. Die untergründigen gedanklichen Bilder hervorkramend suchte ich die passenden Sites zu den Menschen. Ein junges Pärchen setzte sich auf den gegenüberstehen kleinen Tisch, augenscheinlich verliebt. Er holte Zigaretten aus der Jackentasche, schüttelte eine Zigarette aus der Softverpackung und steckte sie in den Mund. Seine Freundin drehte sich um und zischte ihn an „Muss das jetzt sein?!“. Solidarisch gab ich ihm Feuer und reichte ihm den reihum gehenden Aschenbecher. Der Mann neben mir und die Dame daneben erklärten, das sie Blogs nur lesen aber selber keine schreiben würden, da und dort mal einen Kommentar. Die Zeit fehle dazu selbst schreiben, erklärten Beide. Ja! - denke ich, bloggen fressen Zeit und manchmal auch den Haushaltsfrieden. Bei der Menge Leute musste ich mir auch eingestehen dass ich nur wenige Sites wirklich kenne oder besser öfter mal gelesen habe. Das Vorhaben Menschen und Blogs zu verbinden gebe ich auf als die Musik beendet wird und die Lesung beginnt.

Frau Suna, Andrea Diener, Herr Bandini und Herr Kid lesen. Die Texte von Herrn kid konnte ich mir in etwa vorstellen, etwas dunkel und schwermütig, fast existenziell mit einer großen Portion Sahne in Form von Humor. Frau Suna hat mich überrascht, die Melodie der Sprache klang vertraut und heimatlich. Die Texte detailhaft beschreibend, beinahe anteilnahmslos erzählend und dennoch treffen sie den Kern der Erzählung über Stimmungen, über familiäre Arbeitsteilung und Beobachtungen von Menschen in der Straßenbahn. Frau Diener erzählt ohne Zynismus über einige Stunden an der Rennbahn mit Flugsimulator, behütete Frauen und deren männliche Stützer auf dem Gang vom Cabriolet zur VIP Tribüne. Herr Bandini liest persönliche Geschichten aus seiner Kinderzeit und der Pubertät, erklärt ein wenig schamhaft Erektionsprobleme und die dazu gehörende ärztliche Therapie.

Meine, durch das lesen der Blogs erhaltenen Eindrücke haben mich nicht enttäuscht und die Menschen passen ganz gut zu dem Geschriebenem auf ihren Sites. Nicht hellseherisch gemeint, eher dem Eindruck folgend. Ein Bier, ein wenig Tratsch über nichtanwesende Blogger und lächelnd gestellte Fragen über die letzten Posts, eine interessante Unterhaltung über kulturelles Verständnis innerhalb der gesamten deutschsprachigen Kultur, Zufriedenheit über den gelungenen und schönen Abend.

Foto zur Lesung gibt es auf der Site von Andrea Diener.

... link (11 Kommentare)   ... comment


Samstag, 11. März 2006
Vergangenheitsbewältigung?!
Auf der Suche nach Hintergründen, geographischen Eigenheiten und politischen Wetterlagen bzw. mentalitätstypischen Merkmalen zu einem Buch über eine Kindheit in Kärnten, einer Kindheit die sich sowohl abstammungsmäßig als auch kulturell von der Mehrheit unterschied, entdeckte ich damalig Trauriges und Entsetzliches. Wenn man allerdings Kärnten und seine politisch, psychotische Verbissenheit am Deutschnationalem kennt, überkommt einem die Freude zu sehen, wie von wenigen Mutigen des Villacher Judenpogroms von 1938 gedacht wurde.

Persönlich kenne ich die Auseinandersetzung der Kärntner, betreffend des Völkermordes und der Vertreibung von Nichtarisierbaren nur durch Schuldzuweisung an die Nazis, die mitten unter ihnen lebten und agierten. Von peinlich berührt bis aufbrausend verneinend und die Taten der deutschen Wehrmacht mit Ruhmesworten verkleidend, manövrierte man das Gespräch zu einem schnellen Ende mit den Worten „Wir hom nix gwust“. Natürlich war dieses Verhalten nicht spezifisch für Kärnten, im gesamten österreichischen Bundesgebiet kam es zur massiven und eifrigen Mitarbeit zum Bestehen und zur Ausbreitung des mörderischen Regimes. Es ist oder war auch ein Teil der österreichischen Identität von dem eigenen Tun abzulenken und in der Opferrolle die Anderen zu belasten.

Die evangelische Kirche in Villach hat zusammen mit Lehrern und Schülern des Peraugymnasiums am 11. November 2005 im Rahmen eines Veranstaltungsprogramms der Geschehnisse von 1938 gedacht.



Ausschnitte aus Zeitungen und Polizei- und Gendarmerieprotokollen von 1938 bis 1945.

Quelle kärnöl.at


Bericht im "Arbeiterwille" aus dem Jahre 1922 über das vom Alpenverein Villach erlassenene "Judenverbot":

Die Ortsgruppe Villach des Deutschösterreichischen Alpenvereins hat vor längerer Zeit das Schutzhaus am Dobratsch als Eigentum erworben. Seit einiger Zeit prangen auf diesem Schutzhaus die Worte: „Juden ist der Eintritt in dieses Haus verboten!“ Diese Aufschrift ist natürlich mit dem Zeichen des Hakenkreuzes versehen. Wie wir hören, wurde diese Aufschrift über Beschluss der Ortsgruppe Villach des Deutschösterreichischen Alpenvereines an dem Schutzhause angebracht. Außerdem soll die gleiche Ortsgruppe beschlossen haben, dass der Pachtvertrag, der mit dem Pächter des Schutzhauses abgeschlossen wurde, in dem Momente erlischt, wo der Pächter einem Juden den Eintritt in das Schutzhaus gestattet.

Aus dem Bezirk Villach: Berichte aus Gendarmerieprotokollen über das Novemberpogrom 1938:

Velden: Ein noch nie da gewesenes Ereignis trat am 10. 11 in den Abendstunden ein. In grenzenloser Erbitterung über den erfolgten Tod des Gesandschaftsrates von Rath, der durch jüdische Mörderhand in meuchlerischer Art herbeigeführt wurde, versammelten sich Teile der Bevölkerung des Ortes in spontaner Weise und fielen gruppenweise über jüdische Besitzungen her. Es erfolgte eine wüste Zerstörung der unbewohnten jüdischen Häuser Villa Arnstein, Giebelhaus, Seehof, Helene, Weisshut und Landhaus Freisler.

Obere Fellach: Der Papierfabrikant Josef Sternschuss “Jude“, Inhaber der Pappenfabrik Albeko in Obere Fellach wurde im Jahre 1938 durch das Stadtkommando Villach in Schutzhaft genommen und sein Eigentum arisiert. Die Fabrik wurde durch den Wiener Fabrikant August Ahlborn sodann käuflich erworben. Sternschuss befindet sich derzeit in Haifa in Egypten. Näheres über sein Schicksal ist unbekannt.

Heiligen-Gestade: Nach dem Umbruch am 13. 3. 1938 wurden von Nazis aus Villach sämtliche Einrichtungen des Juden Dr. Erich Loewe, in Berghof in Heiligen-Gestade am Gutsbesitz, zertrümmert und zerschlagen. Später wurde der Besitz arisiert und am 9. 2. 1940 von der Deutschen Arbeitsfront übernommen.

Stöckelweingarten: Die Einrichtungen des Juden Kaufmann Glesinger aus Villach, im Wochenendheim in Stöckelweingarten, wurden von jugendlichen Nazis aus Villach nach dem Umbruch zertrümmert. Das Heim wurde dann vom Glesinger verkauft. Die Pension des Juden Emil Rohland Richter in Stöckelweingarten wollte man nach dem Umbruch auch zertrümmern, wurde aber durch rasches Eingreifen durch hiesige Gendarmerie vereitelt. Pension wurde dann später von Richter verkauft.

Sattendorf: Das Wochenendheim des Juden Rogar in Sattendorf mit ca. 1000 Quadratmeter Grund wurde arisiert und später von Radischnig, Hauptamtsleiter der NSDAP erstanden. Letzterer befindet sich derzeit in amerikanischer Kriegsgefangenschaft. Gattin in Stöckelweingarten wohnhaft.

Velden: Am 10. 11. 1938 wurde wegen der Ermordung des deutschen Gesandten von Rath in Paris durch die SA Velden die Einrichtung der Judenhäuser Arnstein, Mayer, Löbenfeld-Russ, Kern, Weisshut und Edihaus in Velden demoliert und zum Grossteile vernichtet.

Bezirksgericht Villach: Anzeige von Leon Zwerling, eingebracht im Oktober 1945, wegen der Verwüstung seiner Wohnung anlässlich des Villacher Judenpogroms im November 1938.

Ich war bis April 1939 Eigentümer des Hauses Villach, Oberer Heidenweg Nr. 34. Da ich Volljude bin, wurde ich vom Finanzamt Villach veranlasst, das Haus zu verkaufen. Am 16. Nov. 1942 bin ich über Auftrag der Gestapo nach Wien übersiedelt, von wo ich am 11. Okt. 1945 wieder zurückgekehrt bin. Am 10. November 1938 um ca. 4 Uhr nachmittags erschien in meinem Haus Villach Oberer Heidenweg Nr. 34 der Malermeister Friedrich Meier M. und drei weitere mir bekannte Personen. Ich war damals gerade im Garten beschäftigt. Einer von den Personen sagte mir zuerst, der Sturmführer wolle mich sprechen. Der Malermeister Friedrich Meier, gab sich mir gegenüber als Sturmführer aus und forderte mich mit den Worten „Jude gib die Waffen heraus“ auf zur Waffenabgabe. Ich erwiderte, dass ich keine Waffen habe und dass sie beruhigt meine Wohnung nach solchen durchsuchen können. Es begaben sich dann alle Vorgenannten in meine Wohnung im ersten Stock. Auf die neuerliche Aufforderung zur Herausgabe von Waffen, beteuerte ich keine zu besitzen, worauf Friedrich Meier das Kommando los gab. Alle 4 Personen, die gegen meinen Willen in meine Wohnung eingedrungen waren, machten sich dann daran, meine Wohnungseinrichtung zu zerstören. Es dauerte kaum eine halbe Stunde und fast meine gesamte Wohnungseinrichtung von 2 Zimmern, 1 Küche, 1 Speis und eines Badezimmers waren demoliert. Die genannten haben nicht nur Einrichtungsgegenstände, sondern auch Geschirr, Lebensmittel und dergleichen vernichtet. Ich schätze den mir daraus erwachsenen Schaden auf mindestens 6 bis 8 000 Schilling. Nach diesem Zerstörungswerk sind sie wieder fort und haben hinter sich die Wohnungstür abgesperrt und den Schlüssel von außen stecken lassen, sodass ich mit meiner Frau genötigt war, die Wohnung durch herablassen der Küchenbalken zu verlassen. Meine Frau und ich wurden bei diesem Anlass mit den Worten Saujud, Judenweibl und ä. beschimpft. Wir haben uns über diese mutwillige Zerstörung unseres Eigentums sehr aufgeregt. Meine Frau ist 66 Jahre alt und ich bin schon 75 Jahre. Ich bin in der Lage mehrere Zeugen über diesen Vorfall anzuführen. In der Folge musste ich mit meiner Frau, da wir gar keine Betten hatten, mehrere Tage auf den Boden liegen. Später erhielten wir von Verwandten Betten und Geschirr. Wir besaßen mehrere Service, die ebenso zerschlagen wurden. Außerdem wurden u. a. 53 Gläser mit Eingekochten vernichtet.

Eine anonyme Zeitzeugin kann sich an die „Kristallnacht“ in Villach noch erinnern:

Ich war damals 11 Jahre alt und bin die Hauptschule gegangen. Wir hatten Nachmittag-Unterricht, der um 13 Uhr begann. Nach der Schule bin ich bis nach Oberwollanig zu Fuß nach Hause gegangen. Im Herbst und im Winter war schon finster, wenn ich heim gekommen bin. An jenem Tag – nach der Schule – sind in der Italienerstraße – Ecke Technischer Hof, beim Fischbachgeschäft – sehr viele Leute herumgestanden. Ich bin näher hingegangen und dort war ein riesiger Haufen mit verschiedenen Sachen – Geschirr, aufgeschlitzte Mehlsäcke, zertrümmerte Möbel- auf dem Gehsteig. Rundherum lagen viele Postkarten verstreut. Eine davon hab ich aufgehoben. Ich konnte das Wort Gallizien lesen. Ein Wort, daß ich nie mehr vergessen habe. . Aus dem offenen Fenster im ersten Stock hat Frau Fischbach herausgeschaut. Sie war in Trauer, weil kurz vorher jemand gestorben ist. Ich habe sie gekannt, weil meine Mutter dort öfter eingekauft hat. Sie hat die Hände über den Kopf zusammengeschlagen und geschrien : „Mein Gott, mein Gott , so hört doch endlich auf.“ Zwei Männer haben sie an der Schulter gepackt und zurückgerissen. Ich war erschrocken und habe Angst gehabt. Ich habe das alles nicht verstanden.- Ich wußte nicht was Juden sind. Mein Empfinden war: „Erwachsene sind gewalttätig.“. Als ich endlich daheim war, war es schon ziemlich finster. Ich habe alles meiner Mutter erzählt. Ich wollte, daß sie mir das alles erklärt. Meine Mutter sagte nur: “Mein Gott, was die da treiben, auch für die wird noch die Stunde kommen.“ Später, als ich schon in die LBA (Lehrerbildungsanstalt) gegangen bin, habe ich in Villach öfter einen Mann mit einer gelben Armbinde und einem schwarzen Judenstern gesehen. Er hat immer auf den Boden geschaut. Nach dem Krieg bin ich draufgekommen, daß das der Herr Zwerling vom Oberen Heidenweg gewesen ist. Der Zwerling hat diese Zeit überlebt.

... link (2 Kommentare)   ... comment