Montag, 9. Oktober 2006
Buchmesse 2006 Gastland INDIEN
Indien, ein Land mit 22 offiziellen Amtsprachen (ohne Englisch), tausenden von Dialekten und einigen Pidensprachen, mit mongolisch, persisch, indogermanisch beeinflussten Schriften. Ein Land mit den höchsten Bergen, den tiefsten und heiligsten Flüssen, ausgedehnten Wüsten, grünen Wäldern und fruchtbaren Landschaften die bis in die Fünfziger Jahre der vorigen Jahrhunderts alle Bewohner ernährten, gleichgültig welche Götter verehrt oder welcher Karste angehörig die Menschen waren. Ein Kontinent voller Geschichten, gefüllt mit Schauplätzen und Schicksalen. Ein lavieren zwischen Traditionen und der westlichen Moderne, zwischen heiligen Kühen der Hindus, dem Koran, christlichen Werten, Wertlosigkeit weiblicher Föten dank westlicher präventivmedizinischer Technik und Softwarespezialisten, Callcenteragenten, Verrechnungs- und Buchhaltungszentren internationaler Unternehmen, billiger Arbeitskräfte auf einem Niveau von dem wir mit deutscher Bildungspolitik träumen können.


Das Problem indischer Autoren und Verlage sind nicht die Leser im eigenen Land, in der verfassten Sprache, nirgendwo wird in so vielen Sprachen geschrieben und publiziert. Nur wenige Bücher und Texte schaffen eine weltweite Anerkennung und dies nur wenn der Autor in Englisch schreibt. In einem Gespräch mit einer jungen Schriftstellerin aus Kerala, einer der am dichtesten besiedelten Regionen Indiens wird klar, warum wir von der blühenden Literatur einheimischer Autoren nichts oder nur sehr selten etwas zu lesen bekommen. Es fehlen die Übersetzter um internationale Märkte und damit auch internationale Anerkennung und Beachtung zu erreichen.

Auszüge aus dem Gespräch:

nicodemus: In welcher Sprache schreiben Sie und wie viele Menschen können Sie damit erreichen?

A: Ich, wie meine Kollegen schreiben in der Sprache der Provinz Kerala, in Malayalan und ca. 33 Millionen Inder sprechen diese Sprache.

nicodemus: …was sind die hauptsächlichen Themen der Autoren?

A: Die momentane Thematik der Autoren ist die Entwicklung der Gesellschaft von der Tradition hin zur modernen Lebensweise. Die westliche Entwicklung und die Karriere sind die Themen die behandelt werden. Hauptsächlich wird die Lebenserfahrung in der Veränderung eingebracht.

nicodemus: Heißt dass, das die Diskrepanz zwischen der Tradition und der westlichen Moderne sehr groß ist?

A: Sehr viele Menschen, besonders auf dem Land haben noch tiefe traditionelle Werte die mit der Moderne kollidieren. Andererseits gibt es viele junge Menschen die bereits in der westlichen Moderne leben und hier kommt es häufig zu Problemen in den Familien und der Gesellschaft.

nicodemus: Als Schriftstellerin, wie beurteilen Sie die Stellung, die Situation der Frauen im heutigen Indien?

A: …da gab es eine große Entwicklung in den letzten Jahren. Früher waren die Frauen zuständig für den Haushalt und die Familie, hatten keine oder nur eine unzureichende Schulbildung. Heute ist im Bundesstaat Kerala die Analphabetenquote bei 0,2 Prozent und damit die niedrigste in Indien, die Frauen machen Karriere oder studieren und sind auch noch Mütter und Ehefrauen.

nicodemus: Damit Frauen Karriere machen können muss es auch soziale Strukturen wie Kindergärten geben, gibt es dieses Angebot?

A: Ja, aber hauptsächlich übernimmt die Familie die Rolle des Kindergartens. In ländlichen Gebieten leben heute noch mehrere Generationen in einer familiären Gemeinschaft und die Grosseltern übernehmen die Kinder während die Mutter arbeitet, ihrem Beruf nachgeht. In den Städten kommen die Kinder mit drei Jahren in Kindergarten.

nicodemus: Großfamilien, sind die noch vordergründig vorhanden oder zerfällt diese Struktur zunehmend?

A: Auch hier ist der Unterschied zwischen dem Land und der Stadt sehr groß. In den Städten findet man aufgrund der Wohnsituation und den Kosten für Wohnungen nur wenige Großfamilien. In die Zukunft gesehen, meine ich dass es immer weniger Familiengemeinschaften im traditionellen Sinn geben wird. Diese Entwicklung stellt den Staat vor große Probleme, keiner hat sich bis heute Gedanken darüber gemacht wie die älteren Generationen zu versorgen sind. Kaum jemand bekommt eine Rente oder Sozialhilfe wie ihr es hier in Deutschland gewohnt seid. Vor allem Frauen stehen mit nichts da wenn der Mann stirbt und sie selber nicht gearbeitet haben.

nicodemus: Wie würden Sie Indien heute mit wenigen Schlagwörtern beschreiben?

A: Indien ist ein Zwiespalt und Gemisch zwischen Tradition und Moderne. eine dynamische Orientierung zu einer internationalen Wirtschaftsmacht, dieses Gefühl haben jedenfalls die jungen Inder.

nicodemus: In unserem Gespräch haben Sie eingangs erwähnt das die Poesie gegenüber der Prosa in Indien eine sehr große Rolle spielt.

A: Ja, der Ausdruck von Gefühlen, Schmerzen und Freude wird in Form vom Poesie dargelegt. Poesie spielt von Kindheit an eine große Rolle, damit werden das Sein und das Leben vermittelt. Neben der Poesie des Lebens gibt es auch eine religiöse die nicht aus der Erziehung wegzudenken ist. Ein sehr großer Anteil indischer Literatur ist Poesie, der Kern der indischen Seele.

nicodemus: Schön gesagt, in unseren Breiten ist Poesie eine Unterform der Literatur. Herzlichen Dank für das Gespräch!




...und zum Ende der Buchmesse hat der Autor vor geleerten Regalen noch einen einsamen (Papp)Kameraden gefunden...

... link (7 Kommentare)   ... comment