Samstag, 19. August 2006
Wien Blick
Wenn man morgens kurz vor fünf, das Licht ist schon wieder gräulich um diese Jahreszeit, innen drin und draußen verbreitet sich die erste Ahnung des Herbstes, von der Westautobahn durch den Wienerwald, an Pressbaum vorbei Richtung Wien fährt, kann man sich die Größe der Stadt nicht vorstellen. Keine Einkaufszentren, keine in den Himmel ragenden Stahlskelette mit grell leuchtenden Werbeschildern, hie und da ein Plakat an der Autobahn das einen ahnen lässt, die Stadt feiert mit Mozart sich selbst. Grüner Wald bis nach einer leichten Linkskurve die ersten Häuser auf einem Hügel sichtbar werden. Es könnte auch ein größeres Dorf oder eine kleine Stadt entlang gestreckt hinter dem abrupten Ende der Autobahn liegen. Wenn da nicht das Schild WIEN wäre. Links vom Fluss der dieser Stadt den Namen gegeben hat und in dessen ausgebautem Beet man ungesehen, anonym sollte es die Situation erfordern, auch Hand in Hand mit dem oder einem „Gspusi“, entlang flanieren kann, in dämmrigen Nischen sich sehr nahe kommt. Fluss, es ist keiner eher ein Bach der manchmal und sehr schnell anschwellen kann wenn über dem sudwestlichen Teil des Wienerwalds der himmlische Wasserhahn zu weit aufgedreht ist. So manch zwielichtige Figur vertraute schon auf die Kraft des Wassers und entledigte sich so unliebsamer Mitwisser, Gefährten und Nebenbuhler, der Fluss schwieg und trug seine Last unter dem Naschmarkt hindurch bis ihn das Tageslicht oder nächtens die Parkbeleuchtung im Stadtpark wieder erreicht und er sich kurze Zeit später, wieder überbaut neben der Urania in den Donaukanal ergießt. Der geigende Johann-Strauss- Sohn, gülden im Elisionbogen hat es nicht gesehen, sieht nie was, zu eitel und stolz, wie auch wenn er ständig umlagert und fotografiert wird.

Als Fremder oder Besucher fährt man um fünf Uhr morgens den Wiener Mehlspeisen-Zuckerguss erwartend den Fluss lang von Ampel zu Ampel, nahezu beschleicht einem das Gefühl dass diese kaum einige Meter davor angerollt, absichtlich auf Rot schalten, man ist versucht einen Sensor ausfindig zu machen, oder fährt schneller um den ständigen Rot-Rhythmus zu entgehen, plötzlich blitzt es und nun ist es klar das man einen Beitrag in die Stadtkasse geleistet hat. Bis auf den „Gürtel“ ist das Ampelschaltsystem nicht durchschaubar, sich fügen ist einfach billiger. Unzählige Rotlichter später, an der rechten Seite, vorausgesetzt ist Aufmerksamkeit und ein wenig Wiener-Stadt-Fahrgefühl hat sich eingestellt, taucht unvermittelt inmitten gelbgrauer Mauern das Tor zum Schloss Schönbrunn auf. Zu dieser Stunde sind die kunstvoll in Eisen geschmiedeten Tore geschlossen und der Platz vor dem Schloss ist leer. Hier beginnt für den Nichtwiener, also Wienbeschauer der erste Takt des kaiser-königlichen Einlull- Walzers vergangener Jahrhunderte, Sehnsucht nach der Les Affairs des Wiener Kongress und zum Clubbing böhmischer Zuckerbäcker und Brack Dance stoisch gelassner Kaffehausober.

Hat nun der Wienschauende, der G´scherte ungeübt im Wiener Schmäh, das Schönbrunner Schloss erblickt, kurz an Seine Erlauchte und verblichene Hochheit würdigend gedacht, geht es weiter an der rechten Wienzeile entlang ins Prospektgepriesene Wien. Am Naschmarkt, um Dreiviertel Sechs beginnt die Stadt zu erwachen, Die Buden werden mit frischen Waren befüllt, meist Obst und nicht selten ist zu beobachten wie ein streunender Hund seinen Hinterhaxen hebt und auf die offenen Paradeisersteigen pinkelt. Beim Bäcker kommen gerade die frischen Kipferln, Semmel und Topfengulatschen an, der Duft lässt an Parkplatz denken und eine Melange zu den Köstlichkeiten. Obwohl Wien(be)kenner über viele Jahre, genug jedenfalls um die Hälfte der Musen besucht und mindestens vier Konzerte (nicht schon wieder Mozart) pro Jahr belauscht zu haben, fehlt mir inzwischen die Raffinesse einen Parkplatz legal, Illegal in sekundenschnelle zu erspähen. Vorbei am Markt öffnet sich für einen kurzen Moment die Häuserreihe und gibt den Blick frei auf das goldene Krauthapp`l, wie liebevoll die Secession von den Einheimischen genannt wird. Blitzendes Gold gegen grauen Himmel. Zeuge großer Kunstzeiten und eklatanter Gegensätze von Aufbruch und Wehmut vergangener Epoche. Die Stadt ist voll gestopft bis unter die Plavone der Archive und Konservationsräume mit Kunst. Kunst an allen Orten, kaiserlich philosophische und postmonarchische bis zur Ultramodernen, emotional für Jenen dessen Auge sich daran erfreut.




Nun, lieber Besucher der Hauptstadt sind sie mitten drin, in einem unvorstellbar großen Reich eines Kaisers der halb Europa beherrschte, so sehr verliebt in Zepter und Kugel war das er vergessen hat zur rechten Zeit seinen ethnisch so unterschiedlichem Volk auf die Goschn zu schauen um dessen wahres Wollen zu erkennen. Museen erzählen die Geschichte, manchmal unterschiedlich aber beinahe immer kritiklos preisend, ich enthalte mich einer Meinung. Sie müssen selbst urteilen und beurteilen.

Die Türken haben in vergangenen Zeiten mitsamt Hofstaat manchmal Wien besucht und da sie ein höfliches Volk sind schlugen diese ihr Lager vor den Stadttoren auf. Zugegeben, ihre Absicht war nicht immer eine friedliche und brachte die Bürger schon mal in Bedrängnis, einmal so sehr das Johann III Sobieski, König von Polen einspringen musste um die Osmanen zu vertreiben. Jeder Krieg ist auch Kulturaustausch, vor mehr als 300 Jahren hinterließen die Angreifer dunkle und helle Bohnen, die Wien einen neuen Mythos bescherten, Kaffee. Kaffeehaus Wien, war die Adresse für viele Künstler, Intellektuelle, Lebemänner und Gigolos dieser Stadt. Kaffeehaus, das ist gesellschaftliches Treffen, Kommunikation und gesehen werden. In mancher Nische hört man Liebesschwüre oder Geschäftsverhandlungen. Für jede politische und gesellschaftliche Weltanschauung gab und gibt es die entsprechenden Kaffeehaüser, für die Reaktionären eben so wie für die Demokraten, für Linkslinke wie für die Bürgerlichen, für studentischen Underground und für die Noblesse. Kunst und Kultur traf oder trifft sich bei Melange und Buchteln, kritisiert Nichtanwesende und beweihräuchert sich selbst. Werter Wienbeschauer, nehmen sie sich Zeit zwischen Kunst und Kitsch, besuchen sie eines der alten Kaffehäuser, nicht unbedingt in der Innenstadt dort treffen sie nur ihre Landleute, draußen in den Bezirken innerhalb des Gürtels finden sie noch die Wiener Originale beim kleinen Braunen oder mittags bei einem Herrengoulasch mit Gebäck und einem kleinen Bier. Schweifen sie zurück in die letzten hundert Jahre, das ist dann ihr persönliches Wien, begleitet von einem wortkargen Ober in schwarzem Anzug und weißem Hemd.




Über diese Stadt gibt es tausend und eine Geschichte und ebenso viele Plätze. Hat man nach einigen Tagen sich selbst mit der Stadt überladen, kann vor ständigem Mozartgetue und Kaisergrab nicht mehr klar denken, steigen sie in die U-Bahn und fahren sie hinaus auf die andere Seite der Donau, genießen sie die Lobau und das „Gänsehäufel“, den Blick auf die neuarchitektonischen Himmelskonstruktionen, auf die bescheidenen Kabanen am Wasser der „Alten Donau“ und die Schanigärten am Ufer.



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