Dienstag, 13. Juni 2006
Time to make friends
WM 2006! Kein Schritt auf der Strasse, kein Blick in ein Schaufenster, kein Radio- oder Fernsehprogramm ohne diese lästige Penetration – Fußballweltmeisterschaft 2006! Eine Werbeidee dumpfer, wiederholender als die Nächste. Ein Wettkampf der Einfältigkeit um Brötchen, Matratzen, Wundheilpflaster, Schlittschuhe und Bier an den zwangsbegeisterten Konsumenten zu bringen Selbst Mozart und Goethe werden ohne Zustimmung rekrutiert und die orthodoxe Ikonenmalerei als der Vorläufer heutiger verehrter Fußballhelden geflissentlich gepriesen. Man stelle sich das Bildnis Ballacks, das Haupt umkreist vom goldenen Heiligenschein, auf einer handgehobelten Eichenholztafel verewigt vor. Nichts Öffentliches und nichts heilig Intimes das nicht dem Runden fürs Eckige herhalten muss.

Nein, ich bin kein wirklicher Fußballfan, ganz zu schweigen von einem favorisierten Erst- oder Zweitliga Verein. Aber eine Weltmeisterschaft hat eine andere Dynamik, vor allem wenn sie vor der Haustür stattfindet und Emotionen der begeisterten Masse hautnah fühlbar werden.



Die Frankfurter Sky Arena am Main (Public Viewing) bietet Hunderttausenden Besuchen Platz für ein gemeinsames Mitfiebern und Erleben der Spiele auf riesigen Bildschirmen. Nationen vermischen sich zu einem friedlich kochenden Event und viele Sprachen sind keine Barriere um Meinungen und Siegesrufe auszutauschen. Dominierend am Freitagabend zur übertragenen Eröffnung der Weltmeisterschaft waren nicht die Deutschen, Engländer so weit das Auge reicht und das Ohr bei diesem Lärm ein Wort verständlich ausmachen kann. Sangesfreudige Insulaner, vom Immobilienmakler aus Mancaster bis zum Dachdecker aus Yorkshire strömten zum Mainufer, ließen sich durchsuchen bevor der Bühnenbereich betreten durften. Der Halbliterbecher mit Bier reichte meist nicht um den Durst der Hitze zu stillen und die Heiserkeit aus gemeinschaftlichem Gesang geboren, zu lindern. Einen ganzen Liter im Plastikbecher, schnell warm aber sicher, falls er aus versehen jemanden am Kopf fällt. „Das sind keine Houligans“ erklärte ein Engländer im weißen T-Shirt mit rotem Kreuz an der Schulter „…das ist der englische Song Contest“ der rot gesottenen Oberkörper.



Ausgelassene Fröhlichkeit mit prickelnder Spannung auf den Strassen und Plätzen, keine Aggressionen oder aufwallender Unmut,auch nicht gegen die Polizei die sich mit großem Aufgebot im Hintergrund hielt. Kleine Eskalationen wurden mit einer Hundertschaft schnell beendet und die Justitia überm Brunnen am Römer kleidete sich mit englischen Fahnen, wurde von mutigen Kletterern singender weise beehrt und liebkost. Dem deutschen Bier sei Dank! Nicht anders erging es Karl dem Großen, den in Stein gehauenen Bewahrer deutscher Heldentaten und Inbegriff germanischen Mutes. Auch er wurde zum Sachsen, zum Angelsachsen gekleidet. Deutsche Fußballidentität bröckelte hie und da am Samstagabend nach dem unverdienten Sieg der Engländer. „Neun deutsche Bomber flogen nach Britannien…die Royal Air Force steig auf und es waren nur mehr acht…“. So mancher verzog die Miene – sofern verstanden - bis kein deutscher Bomber über englischem Eiland mehr besungen werden konnte. Nach altehrwürdiger Inselsitte wird Bier über die Singenden vergossen und das Lied beginnt von vorne, wieder mit neun deutschen Bombern. Eigenartig die Nachwehen, sowohl auf der einen Seite mit in Kunststoff gegossenen Kriegshelmen und aufblasbaren Messerschmitts grölenden Britten und im Vorbeischlendern die gesenkten Blicke der Deutschen – schuldbewusst? Diese Zeit wird wohl lange ein Stachel auf beiden Seiten im Fleisch des Erinnerns bleiben.



Es ist einfach begeisternd zu sehen und zu fühlen, das es möglich ist miteinander auszukommen und in Freundschaft zu begegnen, egal welche Hautfarbe, welche Nationalität und welche Religion auch immer. Ein großes Lob auch den Frankfurtern die freudig den Gästen auf Fragen antworten und manchmal radebrechend den Weg zur Äppelweinkneipe oder in die Stadt erklären. Ungewohnt freundlich und zuvorkommend sind die Begegnung der Gäste mit den dienstschiebenden Polizisten und Mitarbeiter der Security Dienste. Time to be a friend!

Weiteres Stimmungsbild bei http://bembelkandidat.blogg.de/eintrag.php?id=810

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