Samstag, 11. März 2006
Vergangenheitsbewältigung?!
Auf der Suche nach Hintergründen, geographischen Eigenheiten und politischen Wetterlagen bzw. mentalitätstypischen Merkmalen zu einem Buch über eine Kindheit in Kärnten, einer Kindheit die sich sowohl abstammungsmäßig als auch kulturell von der Mehrheit unterschied, entdeckte ich damalig Trauriges und Entsetzliches. Wenn man allerdings Kärnten und seine politisch, psychotische Verbissenheit am Deutschnationalem kennt, überkommt einem die Freude zu sehen, wie von wenigen Mutigen des Villacher Judenpogroms von 1938 gedacht wurde.

Persönlich kenne ich die Auseinandersetzung der Kärntner, betreffend des Völkermordes und der Vertreibung von Nichtarisierbaren nur durch Schuldzuweisung an die Nazis, die mitten unter ihnen lebten und agierten. Von peinlich berührt bis aufbrausend verneinend und die Taten der deutschen Wehrmacht mit Ruhmesworten verkleidend, manövrierte man das Gespräch zu einem schnellen Ende mit den Worten „Wir hom nix gwust“. Natürlich war dieses Verhalten nicht spezifisch für Kärnten, im gesamten österreichischen Bundesgebiet kam es zur massiven und eifrigen Mitarbeit zum Bestehen und zur Ausbreitung des mörderischen Regimes. Es ist oder war auch ein Teil der österreichischen Identität von dem eigenen Tun abzulenken und in der Opferrolle die Anderen zu belasten.

Die evangelische Kirche in Villach hat zusammen mit Lehrern und Schülern des Peraugymnasiums am 11. November 2005 im Rahmen eines Veranstaltungsprogramms der Geschehnisse von 1938 gedacht.



Ausschnitte aus Zeitungen und Polizei- und Gendarmerieprotokollen von 1938 bis 1945.

Quelle kärnöl.at


Bericht im "Arbeiterwille" aus dem Jahre 1922 über das vom Alpenverein Villach erlassenene "Judenverbot":

Die Ortsgruppe Villach des Deutschösterreichischen Alpenvereins hat vor längerer Zeit das Schutzhaus am Dobratsch als Eigentum erworben. Seit einiger Zeit prangen auf diesem Schutzhaus die Worte: „Juden ist der Eintritt in dieses Haus verboten!“ Diese Aufschrift ist natürlich mit dem Zeichen des Hakenkreuzes versehen. Wie wir hören, wurde diese Aufschrift über Beschluss der Ortsgruppe Villach des Deutschösterreichischen Alpenvereines an dem Schutzhause angebracht. Außerdem soll die gleiche Ortsgruppe beschlossen haben, dass der Pachtvertrag, der mit dem Pächter des Schutzhauses abgeschlossen wurde, in dem Momente erlischt, wo der Pächter einem Juden den Eintritt in das Schutzhaus gestattet.

Aus dem Bezirk Villach: Berichte aus Gendarmerieprotokollen über das Novemberpogrom 1938:

Velden: Ein noch nie da gewesenes Ereignis trat am 10. 11 in den Abendstunden ein. In grenzenloser Erbitterung über den erfolgten Tod des Gesandschaftsrates von Rath, der durch jüdische Mörderhand in meuchlerischer Art herbeigeführt wurde, versammelten sich Teile der Bevölkerung des Ortes in spontaner Weise und fielen gruppenweise über jüdische Besitzungen her. Es erfolgte eine wüste Zerstörung der unbewohnten jüdischen Häuser Villa Arnstein, Giebelhaus, Seehof, Helene, Weisshut und Landhaus Freisler.

Obere Fellach: Der Papierfabrikant Josef Sternschuss “Jude“, Inhaber der Pappenfabrik Albeko in Obere Fellach wurde im Jahre 1938 durch das Stadtkommando Villach in Schutzhaft genommen und sein Eigentum arisiert. Die Fabrik wurde durch den Wiener Fabrikant August Ahlborn sodann käuflich erworben. Sternschuss befindet sich derzeit in Haifa in Egypten. Näheres über sein Schicksal ist unbekannt.

Heiligen-Gestade: Nach dem Umbruch am 13. 3. 1938 wurden von Nazis aus Villach sämtliche Einrichtungen des Juden Dr. Erich Loewe, in Berghof in Heiligen-Gestade am Gutsbesitz, zertrümmert und zerschlagen. Später wurde der Besitz arisiert und am 9. 2. 1940 von der Deutschen Arbeitsfront übernommen.

Stöckelweingarten: Die Einrichtungen des Juden Kaufmann Glesinger aus Villach, im Wochenendheim in Stöckelweingarten, wurden von jugendlichen Nazis aus Villach nach dem Umbruch zertrümmert. Das Heim wurde dann vom Glesinger verkauft. Die Pension des Juden Emil Rohland Richter in Stöckelweingarten wollte man nach dem Umbruch auch zertrümmern, wurde aber durch rasches Eingreifen durch hiesige Gendarmerie vereitelt. Pension wurde dann später von Richter verkauft.

Sattendorf: Das Wochenendheim des Juden Rogar in Sattendorf mit ca. 1000 Quadratmeter Grund wurde arisiert und später von Radischnig, Hauptamtsleiter der NSDAP erstanden. Letzterer befindet sich derzeit in amerikanischer Kriegsgefangenschaft. Gattin in Stöckelweingarten wohnhaft.

Velden: Am 10. 11. 1938 wurde wegen der Ermordung des deutschen Gesandten von Rath in Paris durch die SA Velden die Einrichtung der Judenhäuser Arnstein, Mayer, Löbenfeld-Russ, Kern, Weisshut und Edihaus in Velden demoliert und zum Grossteile vernichtet.

Bezirksgericht Villach: Anzeige von Leon Zwerling, eingebracht im Oktober 1945, wegen der Verwüstung seiner Wohnung anlässlich des Villacher Judenpogroms im November 1938.

Ich war bis April 1939 Eigentümer des Hauses Villach, Oberer Heidenweg Nr. 34. Da ich Volljude bin, wurde ich vom Finanzamt Villach veranlasst, das Haus zu verkaufen. Am 16. Nov. 1942 bin ich über Auftrag der Gestapo nach Wien übersiedelt, von wo ich am 11. Okt. 1945 wieder zurückgekehrt bin. Am 10. November 1938 um ca. 4 Uhr nachmittags erschien in meinem Haus Villach Oberer Heidenweg Nr. 34 der Malermeister Friedrich Meier M. und drei weitere mir bekannte Personen. Ich war damals gerade im Garten beschäftigt. Einer von den Personen sagte mir zuerst, der Sturmführer wolle mich sprechen. Der Malermeister Friedrich Meier, gab sich mir gegenüber als Sturmführer aus und forderte mich mit den Worten „Jude gib die Waffen heraus“ auf zur Waffenabgabe. Ich erwiderte, dass ich keine Waffen habe und dass sie beruhigt meine Wohnung nach solchen durchsuchen können. Es begaben sich dann alle Vorgenannten in meine Wohnung im ersten Stock. Auf die neuerliche Aufforderung zur Herausgabe von Waffen, beteuerte ich keine zu besitzen, worauf Friedrich Meier das Kommando los gab. Alle 4 Personen, die gegen meinen Willen in meine Wohnung eingedrungen waren, machten sich dann daran, meine Wohnungseinrichtung zu zerstören. Es dauerte kaum eine halbe Stunde und fast meine gesamte Wohnungseinrichtung von 2 Zimmern, 1 Küche, 1 Speis und eines Badezimmers waren demoliert. Die genannten haben nicht nur Einrichtungsgegenstände, sondern auch Geschirr, Lebensmittel und dergleichen vernichtet. Ich schätze den mir daraus erwachsenen Schaden auf mindestens 6 bis 8 000 Schilling. Nach diesem Zerstörungswerk sind sie wieder fort und haben hinter sich die Wohnungstür abgesperrt und den Schlüssel von außen stecken lassen, sodass ich mit meiner Frau genötigt war, die Wohnung durch herablassen der Küchenbalken zu verlassen. Meine Frau und ich wurden bei diesem Anlass mit den Worten Saujud, Judenweibl und ä. beschimpft. Wir haben uns über diese mutwillige Zerstörung unseres Eigentums sehr aufgeregt. Meine Frau ist 66 Jahre alt und ich bin schon 75 Jahre. Ich bin in der Lage mehrere Zeugen über diesen Vorfall anzuführen. In der Folge musste ich mit meiner Frau, da wir gar keine Betten hatten, mehrere Tage auf den Boden liegen. Später erhielten wir von Verwandten Betten und Geschirr. Wir besaßen mehrere Service, die ebenso zerschlagen wurden. Außerdem wurden u. a. 53 Gläser mit Eingekochten vernichtet.

Eine anonyme Zeitzeugin kann sich an die „Kristallnacht“ in Villach noch erinnern:

Ich war damals 11 Jahre alt und bin die Hauptschule gegangen. Wir hatten Nachmittag-Unterricht, der um 13 Uhr begann. Nach der Schule bin ich bis nach Oberwollanig zu Fuß nach Hause gegangen. Im Herbst und im Winter war schon finster, wenn ich heim gekommen bin. An jenem Tag – nach der Schule – sind in der Italienerstraße – Ecke Technischer Hof, beim Fischbachgeschäft – sehr viele Leute herumgestanden. Ich bin näher hingegangen und dort war ein riesiger Haufen mit verschiedenen Sachen – Geschirr, aufgeschlitzte Mehlsäcke, zertrümmerte Möbel- auf dem Gehsteig. Rundherum lagen viele Postkarten verstreut. Eine davon hab ich aufgehoben. Ich konnte das Wort Gallizien lesen. Ein Wort, daß ich nie mehr vergessen habe. . Aus dem offenen Fenster im ersten Stock hat Frau Fischbach herausgeschaut. Sie war in Trauer, weil kurz vorher jemand gestorben ist. Ich habe sie gekannt, weil meine Mutter dort öfter eingekauft hat. Sie hat die Hände über den Kopf zusammengeschlagen und geschrien : „Mein Gott, mein Gott , so hört doch endlich auf.“ Zwei Männer haben sie an der Schulter gepackt und zurückgerissen. Ich war erschrocken und habe Angst gehabt. Ich habe das alles nicht verstanden.- Ich wußte nicht was Juden sind. Mein Empfinden war: „Erwachsene sind gewalttätig.“. Als ich endlich daheim war, war es schon ziemlich finster. Ich habe alles meiner Mutter erzählt. Ich wollte, daß sie mir das alles erklärt. Meine Mutter sagte nur: “Mein Gott, was die da treiben, auch für die wird noch die Stunde kommen.“ Später, als ich schon in die LBA (Lehrerbildungsanstalt) gegangen bin, habe ich in Villach öfter einen Mann mit einer gelben Armbinde und einem schwarzen Judenstern gesehen. Er hat immer auf den Boden geschaut. Nach dem Krieg bin ich draufgekommen, daß das der Herr Zwerling vom Oberen Heidenweg gewesen ist. Der Zwerling hat diese Zeit überlebt.

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Traurig, daß Menschen, die darüber Zeugnis ablegen können, das bald nicht mehr tun werden können.
Noch trauriger die Ewiggestrigen, auch wenn sie manchmal viel zu jung sind, die noch immer nichts begriffen haben.
Würden die Leute die Hälfte ihres Hasses und die Energie die sie in Zerstörung fremden Eigentums stecken für was Sinnvolles nützen, gäbe es ein paar gute Arbeiter mehr und die Welt sähe wohl um einiges besser aus.

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Traurig ist nicht nur das die Zeitzeugen weniger werden, traurig ist der Umgang mit den Verbrechen dieser Zeit. Vor wenigen Jahren habe ich versucht Einblick in die Gendarmerie- und Polizeiakten aus der besagten Zeit in Klagenfurt zu erlangen. Die Palletee der Ausreden und Verhinderungen war von blöd bis teils einfallsreich. Es gibt sehr viel Dokumentiertes über das ein Schatten des Verhüllen und Verschweigen gebreitet wird.

Gesellschaftlich bestraft wurden nach dem Zusammenbruch dieses mörderischen Regimes die, die dagegen aufgestanden und gekämpft haben. Verachtet wurden und werden Kärntner Slowenen die gezwungen waren an der Front zu kämpfen und zuhause wurden die Familien deportiert – da sie nicht Arier reiner Güte waren und keine bis mangelhafte Deutschkenntnisse hatten. Männer die, nachdem sie erfahren haben was in der Heimat geschieht, desertiert sind und das Glück hatten nicht erwischt und erschossen zu werden, wurden nach dem Krieg weiterhin als Verbrecher angesehen. Einen dieser Männer kannte ich und unter uns Kindern galt er als Außenseiter, bis er mir kurz vor seinem Tod seine Geschichte erzählte. Eine Geschichte die ihn zwar vor dem sichern Tod an der Ostfront bewahrte, dafür ihn und seine Familie für den Rest seines Lebens aus der dörflichen Gemeinschaft ausschloss. Als gläubiger Katholik besuchte er jeden Sonntag die Kirche, stand in der letzten Reihe und an Feiertagen vor der Kirche um ja nicht angepöbelt zu werden. Der Wirtshausbesuch nach dem Kirchgang blieb ihm verwehrt, sein Wunsch nach einem Bier wurde nicht erfüllt und die Gäste in der Wirtsstube verstummten wenn er eintrat.

Ein Held wollte er nie sein, nur einer dem das Morden und Niederbrennen russischer Dörfer nicht als gerecht in den Kopf wollte und der erkannte das ein Mitschuldigwerden seine slowenische Familie nicht schützt. Bei den vielen Millionen Ermordeten spielt sein Schicksal eine untergeordnete Rolle und es waren nur einige hundert Kärntner Slowenen die deportiert wurden und ins KZ kamen. Für ihn endete das Nazireich erst mit seinem Tod in den Achtzigern.

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